«Papier ist geduldig», sagt man. Das mag sein – ich dagegen bin es leider zu selten. Dennoch soll ich etwas über Geduld schreiben. Wenigstens darf ich mich zuerst als Bibelkenner äussern und dann erst als ungeduldiger Mensch.
Geduld, Ausdauer, Langmut, Standhaftigkeit − was sagt das Neue Testament dazu? Sehr viel. Ja, es stehen dort Dutzende von wichtigen Ermutigungen. Als ich sie las, dachte ich: Die wurden extra für unsere heutige, schnelllebige Zeit geschrieben. Das stimmt natürlich nicht. Das Wort Gottes gilt für alle Zeiten. Jedoch − so scheint mir − werden in unserer Gesellschaft Geduld, Ausdauer und Abwarten nachdrücklich verdrängt durch ein «Mehr und mehr und alles möglichst sofort».
«Darunterbleiben» − Ausharren
Doch widmen wir uns nun den neutestamentlichen Aussagen zu unserem Thema. Mit drei griechischen Worten will uns die göttliche Weisheit zum Begriff «Geduld» belehren. Das am häufigsten gebrauchte Wort dafür, hypomonä, wird in fast allen Bibeln mit «Geduld» übersetzt. Das zweithäufigste Wort ist makrothymia, oft mit «Ausdauer» und «Langmut» wiedergegeben. Dann gibt es noch ein drittes Wort: anochä. Es kommt als Substantiv nur zweimal vor − und nur in Bezug auf eine besondere Geduld. Auf diese gehe ich später genauer ein. Vorerst lasse ich den Theologen hinter mir und schreibe weiter als ungeduldiger Mensch in einer ungeduldigen Welt.
Hypomonä bedeutet wörtlich «Darunterbleiben». Das kann «Bleiben unter einer Last» heissen oder «Ausharren in einer unangenehmen Situation» oder «Ertragen eines schwierigen Chefs» oder − die Liste könnte lang werden. Lang? Dann bräuchte ich sicher Langmut, griechisch makrothymia. Die zwei verschiedenen Begriffe hypomonä und makrothymia werden oft in einem Atemzug (Bibelvers) genannt. In Kolosser 1,11 zum Beispiel: … werdet gestärkt zu aller Geduld (hypomonä) und Langmut (makrothymia). Diese makrothymia hat zwei Wortstämme: makro heisst «lang». Der zweite Wortstamm thymia weist in seiner erweiterten Bedeutung statt auf «Mut» mehr auf ein «Aufbrausen» hin, auf eine Art «Ungeduld». Mit anderen Worten: Mit makrothymia soll ich mein oft zu schnelles emotionales Handeln lange hinauszögern.
Der Gott der Geduld
Wie wünschte ich mir, wie der Apostel Paulus sagen zu können: … wir erweisen uns als Gottes Diener in vieler Geduld ... und in Langmut ... (2. Korinther 6,4–6). Doch ich rege mich beim Autofahren hinter Langsamfahrern auf, suche schnell die kürzeste Warteschlange an der Supermarktkasse, bin gestresst, weil ich die Warteschlaufe am Telefon nicht beschleunigen kann, unterbreche einen Redenden, wenn er mir zu umständlich wird, ärgere mich über zu langsames Internet und, und, und. Alles das ginge ja noch, solange es nur mit mir zu tun hat. Schlimmer wird es, wenn ich mich so verhalte, wie ich es bei anderen kritisiere: «Keiner will sich mehr längerfristig engagieren; alles muss immer schnell gehen, alle sind immer ausgebucht, die wenigsten können sich noch auf eine Sache konzentrieren; und richtig zuverlässig ist sowieso kaum noch jemand!» Das mag ja stimmen, aber wie steht es denn mit mir selbst?
Kommt noch dazu, dass ich, wenn ich das Thema «Geduld, Langmut und Ausdauer» als Christ betrachte, häufig noch mehr ins Defizit gerate: Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht genug Ruhe und Musse zum Gebet finde und zu wenig geistlichen Tiefgang gewinne. Mein Schrei zu Gott ist humorvoll-hilflos ausgedrückt: «Herr, gib mir Geduld, aber bitte sofort!» Das tut er natürlich nicht. Gott hat glücklicherweise einen geduldigen Charakter. Er trägt sogar die Bezeichnung «Gott der Geduld» (vgl. Römer 15,5). Gott wirkt mit anderen Zeitvorstellungen und setzt die besten Lernmethoden ein. Das gibt mir Hoffnung für meinen Wunsch nach mehr Geduld, Langmut und Ausdauer.
Zur Geduld in Ruhe gelangen
Geduld wird besonders dann zur Geduldsprobe, wenn man lange auf etwas warten muss, das einfach nicht eintreffen will. Für «Geduld haben», im Sinn von «erdulden», «ertragen», «vertragen» gibt es noch ein anderes Wort im griechischen Neuen Testament. Es ist das Verb anechomai. Es behandelt meist den Bereich der Beziehungen von Mensch zu Mensch, dann auch vom Menschen zu Gott und schliesslich von Gott zum Menschen. Das oben erwähnte, dritte Wort für Geduld − anochä − gehört zu diesem Verb anechomai. Es bedeutet ein geduldiges Aushalten in (noch unerfüllten) menschlichen Erwartungen: nämlich andere Menschen dort zu ertragen, wo sie sich anders verhalten, als ich es gerne hätte. In Kolosser 3,13 schreibt Paulus: Ziehet ... Langmut an, indem einer den anderen erträgt und ihr euch untereinander vergebt (genauer: Gnade schenkt). Das «Gnade-Schenken» spricht mich sehr an, da ich weiss, wieviel Gnade ich selbst brauche, um Geduld für mich bei anderen zu finden!
Dieses Anechomai-Verhalten führt mich in jene geduldige Bereitschaft hinein, schwierige Menschen auszuhalten und Unangenehmes zu erdulden. Aber ich darf gleichzeitig auch damit rechnen, dass mir Gott zeigt, wenn ich falsche Lasten trage und dabei ermüde. Geduld soll mich nicht erdrücken, sondern aufrecht weitergehen lassen − in Erwartung einer Änderung, wie sie Gott herbeiführen will. Und als «Gott der Geduld» weiss er da bestens Bescheid! Im Römerbrief 2,4 steht der bekannte Satz: Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld (anochä) und Langmut? Weisst du nicht, dass dich Gottes Güte zum Umsinnen führt? Es scheint, dass Gott viel Geduld mit uns allen hat, bis wir − wo auch immer es notwendig ist − zum Umdenken und zur Umkehr kommen.
Anochä hiess in der griechischen Antike «Geduld in Ruhe» zu haben. Lassen wir uns vom «Gott der Geduld» zu dieser «Geduld in Ruhe» führen! Gehen wir getrost unseren «ungeduldigen» Weg weiter, in beständiger Bereitschaft zum Umdenken. Mit dem Hypomonä-Darunterbleiben und der Makrothymia-Langmut werden wir auch Gottes ruhige, zum Ziel führende Anochä-Geduld erfahren!