Das griechische Wort KYRIOS kennen viele aus dem liturgischem Gebrauch "KYRIE ELEISON": "Herr, erbarme dich!" KYRIE ist im NT, ähnlich wie heute noch im Deutschen, eine häufige Anrede (circa 600 Vorkommnisse) und wurde schon damals im Profanen wie im Religiösen angewendet: Zum Beispiel würde heute ein Herr Müller mit "KYRIE" angesprochen, sowie Jesus damals auch (Lukas 13,23). Nach der Auferstehung sprach ihn der Jünger Thomas wieder mit KYRIE an, aber es war eine Anrede als Gott, wie heute noch in der Liturgie (Johannes 20,28). Dieser Vergleich mit "Herr Müller - Herr Jesus" - lässt sich mit unserem Verständnis schwer vereinbaren. Bei der Frauenanrede "KYRIA" dagegen (siehe 2.Johannesbrief) käme kein Missverständnis auf. KYRIA ist eine höfliche und nie eine göttliche Anrede. Aber sollte eine Anrede nicht stets mit dem Bezug zu dem Angesprochenen übereinstimmen? Sagen wir "Guten Tag Herr Müller", dann geben wir dem Herrn Müller die Wertschätzung, ein Herr in unseren Augen zu sein und kein - salopp gesagt - Kumpel. So war es auch bei Jesus. Wenn man ihn in glaubensmässiger Hinsicht als als "KYRIOS", als "HERRN" ansprach, dann musste diese Ansprache als Herr auch die Wertschätzung und Anerkennung seiner Stellung als HERR des Glaubens sein (siehe das bekannte Wort "nicht alle, die "HERR HERR zu mir sagen...Matthäus 7,21-23). Eine Anrede sollte also mit der inneren Haltung zum Angesprochenen übereinstimmen.
Eine wortverwandte Bedeutung von KYRIOS ist nicht nur" Herr", sondern auch "Entscheidender". KYRIOS erweitert sich bis zu SYN-KYRIA, was "sich zufällig begeben" bedeutet. Dieses Wort kommt in der Geschichte des "guten Samariters" vor (Lukas 10,31). War die Begegnung des Priesters mit dem schwer Verletzten am Wegrand Zufall oder von Gott als "Entscheidender" gewollt? Wie auch immer - Jesus erzählte die Geschichte, um Geisteshaltungen aufzudecken, die in den Herzen herrschen. Ein "Zufall" kann der entscheidende Punkt sein, in dem eine Herzenshaltung offenbar wird und die Bedeutung von KYRIOS als Entscheidender auf einer tieferen Ebene erklärt.
Der KYRIOS ist HERR und somit auch Herrscher, das Verb KYRIEUOO heisst "herrschen". Des KYRIOS' Entscheidungen sind gültig. Etwas "ungültig machen" nennt das Neue Testament A-KYRO-OO (siehe Galaterbrief 3,17). Der KYRIOS handelt und redet in höchster Autorität. Als das Alte Testament in der Antike von hebräisch und aramäisch ins Griechische von den "70 Weisen" übersetzt wurde (die sogenannte Septuaginta Übersetzung), haben diese meist jüdischen Gelehrten bei dem heiligen Gottesnamen JAWEH (oder JEHOVA) lange den richtigen Ausdruck dafür gesucht und sich schliesslich für "KYRIOS" entschieden. Mit "KYRIOS " bekam das Volk eine "aussprechbare" Gottesbezeichnung, da der Name JAWEH lange aus Angst vor Missbrauch mit Scheu behandelt wurde.
In der Zeit nach Christi Geburt stieg die Bezeichnung KYRIOS zur höchsten Stellung auf - in der Religion und im Staatswesen. Der römische Kaiser verlangte mit dem Titel KYRIOS göttliche Verehrung. Die Christen verweigerten sich dieser Anmaßung. Für sie gab es nur EINEN, der KYRIOS genannt werden konnte: der KYRIOS JESUS CHRISTOS (siehe Philipper 2,11). Somit entschied bei einigen Christenverfolgungen der Titel KYRIOS über Leben und Tod: gebührte er dem Kaiser oder Jesus Christus? Wie steht es heutzutage mit der "Kaiser - Christus" Frage? Wer hat heute das kaiserliche Sagen? Der Staat. Das Wort von Jesus in Matthäus 22,21: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist!" bewegt mehr und mehr Menschen im gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen Gehorsam und Ungehorsam, zwischen Glauben und Unglauben - ein Thema, das die Jahreslosung für das Jahr 2020 aufgreift, gestützt auf den neutestamentlichen Text aus Markus 9,24: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben!"
Es war eine passende Wahl. KYRIE ELEISON!