Ist der Mann das "Haupt" der Frau?

Die Aussage, die Paulus im 1. Brief an die Korinther schreibt (11,1-3), wurde seit fast 2000 Jahren hindurch als biblische Antwort zu dieser Frage angesehen. Ob die Antwort gerechtfertigt ist, zeigt das genauere Lesen des Textes:
Paulus schreibt: "Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi. Ich lobe euch aber, dass ihr in allem meiner eingedenk seid und die Überlieferungen, wie ich sie euch überliefert habe, festhaltet. Ich will aber, dass ihr wisset,dass der Christus das Haupt (HE KEPHALÄ) eines jeden Mannes ist, das Haupt (HE KEPHALÄ) der Frau aber der Mann, des Christus Haupt (HE KEPHALÄ) aber Gott."
Ist dies nun eine Aussage zu einer Hierarchie, zu einer Wertschätzung, zu einer Einheit oder gar noch zu anderem?

Doch gehen wir der Reihe nach, zuerst das Wort "Haupt", HE KEPHALÄ. Was bedeutet es? Hier ein Auszug aus drei Lexika zum griechischen Urtext:
1.) Langenscheids Taschenwörterbuch Altgriechisch, HÄ KEPHALÄ:
A) Haupt, Kopf; Mund, Kehle. B) Vorderseite. C) äusserstes Ende, Spitze. D) Quelle, Ursprung, Ausgangspunkt. E) Hauptperson, Oberhaupt, Herr. F) Ende, Schluss.
2.) Franz Passow, 1826 (neue Auflage: 1970)
3.) S.Schirlitz, 1896, mit Passow fast identische Aussagen, HÄ KEPHALÄ:
A) Kopf, Haupt. Bei Homer zu Menschen und Tieren und allgemein wie "kopfüber" z.B.
B) das Haupt als edelster Teil des Menschen die ganze Person umschreibend, sonst als Anrede "teures Haupt".
C) als Hauptsitz des Leb(ens in mehreren Redensarten wie "DAS LEBEN SELBST" ,
D) das Hauptende, Kopfende, oberste und äusserste Ende.
F) Hauptperson, Hauptsache,Hauptsatz, Hauptstück,Hauptergebnis,Hauptsumme.

Da Christus und Gott als Endpunkt der Aussage von Paulus stehen und somit auch als Höhepunkt, fangen wir dort mit unseren Überlegungen an. Ist zwischen ihnen ein Hierarchie? Man kann es so sehen, nach 1.Korinther 15,27-28. Und dennoch - sind sie nicht eine Einheit? Bestand je eine Konkurrenz zwischen ihnen? Der Sohn ist der Abglanz der Herrlichkeit Gottes und der Abdruck seines Wesens und DAS LEBEN SELBST (Johannes 14,6)! Durch ihn hat er die Welten gemacht (Hebräer 1,2-3). "Wer mich sieht, der sieht den Vater" sagt Jesus (Johannes 14,9). Wenn wir 1.Korinther 15,27-28 (bitte lesen!) wirklich als "Hierarchie" sehen wollen, dann ist es höchstens eine zeitlich bedingte, um einen Auftrag auszuführen. Aber - dies stets in Wesenseinheit, Wertschätzung, Einvernehmen und Zielausrichtung, nicht als "Entscheidungshierarchie".
Übertragen wir dies auf Mann - Frau, ist es dann immer noch der Gedanke "der Mann ist das Haupt der Frau" mit allen praktisch erlebten Beispielen aus 2000 Jahren "christlicher" Kultur?
Wohl kaum. In der christlichen Ehe hiess es stets: "Der Mann hat das Sagen. Er hat die Entscheidungsgewalt".
In einer modernen Ehe "ergänzen" sich die Partner, heisst es heute. Richtig. Doch finden wir dieses Denken schon in der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen, also auch schon seit fast 2000 Jahren!

"Quelle, Ursprung, Ausgangspunkt, Haupt als edelster Teil des Körpers...eine Einheit bildend..." lasen wir unter anderem in den obenstehenden Übersetzungsmöglichkeiten. Das gibt dem gewohnten HÄ KEPHALÄ = HAUPT als hierarchisch gesehene Übersetzung, einen anderen Klang.

Haupt, Ursprung, Quelle.

Christus kommt aus Gott, er ist der sichtbar gewordene Gott. Die Frau kommt aus dem Mann, sie ist der sichtbar gewordene weibliche Teil des Menschen ("Lasset uns den Menschen schaffen,nach unserem Bilde...männlich-weiblich schuf er sie" (1.Mose 1,26-27). Haupt kann auch als Ursprung verstanden und übersetzt werden. Die Hierarchie steht nicht im Vordergrund der Aussage. Betrachten wir einmal mit diesen Gedanken ein Ehepaar zur Entstehungszeit des Neuen Testamentes.

Priska und Aquila, ein Ehepaar in Einheit des Dienstes.

Was kennzeichnet dieses Paar aus?
Er gibt den männlichen Schutz in ihrem Kulturumfeld, sie gibt ihrem gemeinsamen Dienst die Tiefe. Beide sind berufstätig und bauen gleichzetig am Reich Gottes mit. Ihr gemeinsamer Dienst mal apostolisch, mal lehrhaft, mal pastoral orientiert.
Sie arbeiten und dienen als Ehepaar wie der ledige (oder verwittwete?)Paulus. Weil beide Zelt(tuch)macher sind, nennt man bis heute Missionare, die in ihrem Beruf arbeiten, Zeltmacher-Missionare. (In immer mehr Ländern ist es heute die einzige Möglichkeit, als Missionar tätig zu sein).

Wo kommen Aquila und Priscilla/Priska im NT vor?

1.) Apg.18,2 2.)18,18 3.) 18,26 4.) Röm 16,3 - 5.) 1.Kor.16,19 - 6.) 2.Tim 4,19

Wer wird wo zuerst genannt?

1.) Aquila zuerst genannt
2.) Priska zuerst genannt
3.) Priscilla zuerst genannt (in älteren Handschriften)
4.) Priska zuerst genannt
5.) Aquila zuerst genannt
6.) Priska zuerst genannt

Vier mal wird Priska also zuerst genannt und nur zweimal Aquila zuerst. Es könnte eine Art "Wertung" des Dienstes sein - in der Intensität des Dienstes zum Beispiel.

Die Bedeutung ihrer Namen.

In der Apostelgeschichte 18 heisst sie Priscilla, sonst Priska. Priscilla gilt als "Verkleinerungsform" von Priska. Der Namenstamm bedeutet: "die Alte, die Ehrwürdige, die teure Alte" oder "alt,betagt,verlebt". Aquila, gr. Akylas, kennt nur eine Bedeutung: "der Adler".
Oft haben Namen in der Bibel eine tiefere Bedeutung, das heisst, die jeweiligen Namen passen zu den jeweiligen Personen. Dann würde wohl "der Adler" Aquila den visionären Weitblick besessen haben und seine Frau als "ehrwürdige Alte" die Weisheit im Detail!

Ein Paar mit besonderer Bedeutung.

Dieses Paar nimmt im apostolischen Teil des NT, den Briefen der Apostel (besonders des Paulus), eine besondere Stellung ein. Es sind die einzigen Mitarbeiter des Paulus, die als Ehepaar hervorgehoben werden. Auffallend ist auch, dass Priska in 4 von 6 Nennungen zuerst genannt wird. Die Frage stellt sich halt doch: platziert Paulus diese Bevorzugung in der Anrede aus Höflichkeit oder aus anderen Gründen?
Wir haben obenstehend die Intensität des Dienstes als Möglichkeit gesehen...
Dazu gab es schon bei den alten Kirchenvätern interessante Meinungen...doch davon später in dieser Betrachtung.

Priskas und Aquilas geschichtlicher Hintergrund.

Im Jahre 52 AD erliess Kaiser Claudius das Edikt, dass alle Juden Rom verlassen müssten. Diese Ausweisung wiederum hatte mit der Unruhe zu tun, die der christliche Glaube nach Rom brachte. (Siehe Fussnote am Ende dieses Artikels).
Sehr wahrscheinlich waren Aquila und Priska Sympathisanten der christlichen Bewegung, bevor sie Paulus in Korinth antraf. Sie nahmen ihn sofort in ihr Haus - und mehr noch - in ihr Geschäft als Zeltmacher auf. Sie bereuten es nicht, denn die Gemeinschaft mit Paulus führte sie tief in den Glauben ein. Und dies nicht nur an den Sabbathen in der Synagoge, sondern auch in ihrem Hause und bei der gemeinsamen Arbeit.
Im Gegenzug konnte Paulus durch sie wichtige Einblick in die römischen Verhältnisse erhalten und mit ihnen seinen Lebensunterhalt verdienen. Später, im Brief an die Römer grüsst er sie als erste von ca.30 Menschen, Römer 16,3. Sie waren wieder nach Rom zurückgekehrt, als der Erlass von Claudius wieder aufgehoben wurde.
18 Monate wohnten und arbeiteten Priska und Aquila mit Paulus in Korinth. Dann begleiteten sie ihn nach Ephesus. Sie schienen überhaupt viel gereist zu sein, mit Wohn -und Arbeitsortwechsel. Ihr Beruf ermöglichte es, Handwerk war überall gefragt und kulturell leichter integrierbar als intellektuelle Berufe.

Meinungen aus der Zeit der Kirchenväter und Textforscher.

Der Kirchenvater Chrysostomus meinte, dass Priska aktiver als ihr Mann war, darum die Voranstellung durch Paulus. Die Hauskirchenleitung lag mehr in ihrer Hand als in der Hand Aquilas. Somit lehrte eher Priska den Apollos den "genaueren Aufschluss über den "Weg Gottes" (siehe Namensvoranstellung in Apostelgeschichte 18,26). Schon in der Kirchenväterzeit kam die Theorie auf, dass sie gar den Hebräerbrief geschrieben haben soll! Der Textforscher Hort (19.Jhd.) hält sie namensmässig von einer höheren römischen Familie herkommend. Priska ging mit dem Juden Aquila von Pontus eine dem Evangelium nützliche "Nationen-Hebräer" - Ehe ein, woraus eine äusserst fruchtbare Ehe-Arbeitsgemeinschaft entstand.

Die Aussagen der ersten Bibelstellen über sie.

Apostelgeschichte 18,2 ff:
Paulus kommt als Besucher nach Korinth und fängt bald auch an zu arbeiten. Als Zeltmacher, in seinem Beruf. Bei wem? Am besten bei anderen Zeltmachern, die sich schon etabliert hatten. So findet er Aquila, einen Juden aus Pontus, mit seiner Frau Priscilla. Zuerst schien er bei ihnen nicht nur zu arbeiten, sondern auch zu wohnen. Wir lesen, dass er aber bald in ein Haus neben der Synagoge zog, zu Titius Justus (Vers 7). 18 Monate blieb er in Korinth, weil Gott "ein grosses Volk in dieser Stadt hatte" (Vers 10). Als er die Stadt verliess, segelten Priska und Aquila mit ihm nach Syrien. Hier wird Priska wieder zuerst genannt...hatte sie die Entscheidung getroffen oder so stark gestützt, dass sie mit Paulus gingen? In Ephesus trennten sich ihre Wege wieder. Sie blieben, Paulus wollte nach Jerusalem (Vers 21). Dass sie in Ephesus bleiben mussten, hatte auch mit einem anderen grossen Werkzeug des Herrn zu tun: mit Apollos. Dieser Mann Gottes musste genauer im "Wege Gottes" gelehrt werden. Dies tat wohl Priska im Einvernehmen mit Aquila.

Einige detaillierte Informationen aus weiteren NT-Nennungen.

Römer 16,3-4:
1. Paulus grüsst sie als erste in der langen Grussliste. Sie waren für ihn wohl "seine nahestehendsten Römer"!
2. Er nennt sie Mitarbeiter. Dies ist ein Ausdruck, den er nicht für jeden braucht, der irgend mal mit ihm arbeitete. Es ist eine Auszeichnung in der beziehungsmässig ausgeprägten Mitarbeit. So wie mit Timotheus, den er in Vers 21 auch so nennt.
3. Sie haben "für mein Leben ihren Hals dargeboten". Was er genau damit meint, wissen wir nicht. Aber es muss Hilfe in Lebensgefahr gewesen sein. Eine Hilfe, die sie selbst ihr Leben hätte kosten können.
4. Paulus ist ihnen zu Dank verpflichtet.
5. Er grüsst besonders ihre Hausgemeinde. "Ihre" Hausgemeinde. Ihre gemeinsame Arbeit. Ein Ehepaar, das "partnerschaftlich" arbeitet und "gabengemäss" sich ergänzt. Gibt es etwas Neues unter der Sonne - wie der Prediger fragt? So wird auch heute noch - oder wieder - als Ehepaar gemeinschaftlich im Weinberg des Herrn gewirkt!

Diese Hausgemeinde von Aquila und Priscilla grüsst ihrerseits samt ihrem Leiterehepaar die Korinther - siehe 1.Kor.16,19.

Zum Schluss seines Lebens, im 2.Brief an Timotheus, grüsst Paulus Priska und Aquila als einzige Glaubensgeschwister von Rom aus. Doch nicht ihre Hausgemeinde schliesst er im Grusse ein, sondern "das Haus des Onesiphorus". Es scheint, dass Onesiphorus verstorben war (2.Tim.1,16-18) und nun Priska und Aquila dies "Haus", Hausfamilie oder Hausgemeinde, betreuen.

Mal Adlerblick, mal Weisheit.

Diese Menge an Informationen zeigen, dass mal Aquila, mal Priska das "Haupt" in ihrer Ehe waren. Er - mit "Adlerblick" im Grossen, sie mit Weisheit im Detail. Hätte er alle Entscheidungen allein als "Haupt" ausführen müssen, wäre nicht ihre gemeinsame Lebensaufgabe optimal gelöst worden. In und zwischen den Zeilen der erwähnten Bibelstellen versteckt sich die Möglichkeit, dass Priska in der Lehre stärker begabt war als Aquila. Somit hätte sie in den von ihnen gemeinsam geleiteten Hausgemeinden das Wort geführt.

Priska, eine Lehrerin des Wortes?

Nun, nach Titus 2,3-4 könnte sie eine Lehrerin des Guten gewesen sein.
Eine, die junge Frauen z.B. lehren soll, ihre Männer und ihre Kinder (!!) zu lieben. Oder, hatte sie eventuell prophetisch geredet nach 1.Korinther 11,5? Und dabei gelehrt, nach 1.Korinther 14,3 ? Dann hätte sie Erbauung, Ermutigung und Tröstung ausgesprochen. Das passt aber schlecht zu dem (scheinbaren) Verbot, dass eine Frau nicht lehren darf. In dem Studienbuch "EV'ADAM" (bestellbar bei: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) wird auf den Seiten 90-96 genauer darauf eingegangen. Aber soviel sei hier schon gesagt: Die griechischen Worte im Urtext entsprechen oft nicht ganz den deutschen Übersetzungen! Beispiel 1.Korinther 14,34: HYPOTASSO - oft mit "untertan sein" übersetzt, könnte ebenso mit "darunterstellen, darunterordnen" und ähnlich übersetzt werden. Es geht hier bei Mann und Frau nicht um einen "Gehorsamseffekt", sondern eher um den "Platzeffekt". Die Frau soll am richtigen Platz stehen, an den richtigen Platz gestellt werden - durch die Hilfe des Mannes. Hatte nicht der adlersichtige Aquila gerade dies richtig mit Priska erkannt?

Fussnote aus dem NT "Neue Mülheimer Ausgabe", 1958:
Zu 1.Korinther 18,2
"Der römische Schriftsteller Suetonius Tranquillus, der noch im 1.Jhd. nach Christi geboren wurde, bestätigt diese Mitteilung. Er schreibt: "Die Juden, welche auf Anstiften eines gewissen Chrestus unablässig Unruhen erregten, vertrieb Claudius aus der Stadt." Unter "Chrestus" ist "Christus" zu verstehen. Der Name Chrestus war ein bekannter Sklavenname. Der Name Christus war für die Römer sehr fremdartig. Da sie als Heiden das Christentum nicht kannten und Zeugen davon waren, dass die Juden Christus und seine Anhänger bekämpften, so dachten sie, dieser Christus sei ein jüdischer Unruhestifter. Aus dem was der römische Schriftsteller Tacitus über Christus schreibt, geht das klar hervor. Der Kaiser Claudius nahm daher gern die unter den Juden vorhandenen Streitigkeiten um Christus und seine Lehre zum Vorwand, um die ohnehin verhassten Juden zu vertreiben. Sie durften aber bald zurückkehren und bewohnten eine Art Judenviertel jenseits des Tiberflusses.
Paulus konnte daher die Juden in Rom aufsuchen (siehe auch A 28,17).

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