Vom Kindlein zum Vater

Wachstumsstufen des Glaubens

Im 1.Johannesbrief 2,12-14 begegnen wir vier Stufen geistlicher Reife. Welche Hinweise können sie uns für den Gemeindealltag geben? "Liebe Kindlein (TEKNIA), ich schreibe euch, denn die Sünden sind euch vergeben durch seinen Namen. Ich schreibe euch Vätern (PATERES), denn ihr kennt den, der von Anfang ist. Ich schreibe euch jungen Leuten (NEANISKOI), denn ihr habt den Bösen überwunden. Ich habe euch Kindern (PAIDIA) geschrieben, denn ihr kennt den Vater. Ich habe euch Vätern geschrieben, denn ihr kennt den, der von Anfang ist. Ich habe euch jungen Leuten geschrieben, denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden."

Johannes unterscheidet Kindlein, Kinder, junge Leute, Väter. Alle erhalten einen Hinweis, den sie – und den wir - im Wachstum zu geistlicher Reife beachten müssen.

Die Kindlein.

Für die "Kindlein" ist die wichtigste Erkenntnis Sündenver-gebung und der Name Jesus. Was heisst das praktisch im Gemeindealltag? Nun, die jungen Gläubigen (gleich welchen na-türlichen Alters oder Standes) brauchen Lehre über die Sündenvergebung. Nicht nur über die einmalige, die beim ersten Anrufen des Namens Jesus von Gott geschenkt wird (Apg.2,21) und zur Rettung führt, sondern auch über die fortlaufende Sündenvergebung. Denn alle "Kindlein" in Christus sündigen wieder und erhalten bei fehlender Gnadenlehre Probleme mit der "Heilsgewissheit". Sie bekehren sich wieder und wieder bei Evangelisationen und reifen nicht. Sie müssen Klarheit über die ständige Reinigung und somit Vergebung der Sünden erhalten, so wie sie 1.Johannes 1,7-9 lehrt. Der Name JESUS soll ebenso zur Grundlehre gehören. Er vermittelt Kraft ge-gen das Böse, gegen die vielen Versuchungen und Angriffe. Nun zum griechischen Ausdruck für "Kindlein" - TEKNIA. Es kommt von TEKNON und ist eine Form der Verkleinerung oder Verniedlichung. Johannes drückt damit einen Kosenamen aus. Er liebt diese Kindlein wie eine Mutter. TEKNON kommt vom Verb TIKTOO = gebären. Das hat praktische Bedeutung, so wie im praktischen Leben! Die Kindlein-Stufe im Glauben ist ei-ne Zeit, in der sich Gott mütterlich dem neugeborenen Kindlein offenbaren will. Mit Milchnahrung (siehe 1.Petrus 2,2), mit Wärme, mit Zuwendungen kindlicher Art und mit viel Geduld! Des Kindlein "Weisheit" darf ein freundliches Geplapper sein, ein Nachsprechen der Mutterworte. So lernt es die christliche „Muttersprache" (nicht: Vatersprache!) und lernt spielerisch auf das neue christliche Lebensumfeld zu reagieren. Solches ermöglicht einen guten Start in der Gemeinschaft der Gläubigen und vermeidet viele Fehler. Las-sen wir den Kindlein doch ihre „Babyzeit"! Bei Jesus lesen wir, wie er seinen Jüngern in der ersten Nachfolgezeit viel Freiheit gibt und viel Nachsicht bei ihren unreifen Meinun-gen zeigt. Eine gute Kindleinzeit ist die Basis für spätere Mündigkeit und Reife.

Die Kinder.

Johannes spricht die "Kinder" als nächstes an. Seltsamerweise betont er nur, dass sie "den Vater kennen". Offenbar ist das der wichtigste Schwerpunkt im geistlichen Kinderleben. Gott als Vater zu erkennen. „Sohnschaft" zu erkennen. Paulus erwähnt in Römer 8,15 den Geist der Sohnschaft, ei-gentlich den Geist der "Sohnessetzung" (HUIOTHESIA), den wir empfangen haben. Sitzen wir beim Vater als Kinder, wie es Söhne tun? Als Knechte stehen wir vor ihm, aber als Söh-ne sitzen wir bei ihm. Im praktischen Christsein bedeutet es: Aufatmen, Angenommensein und Mutfassen für künftige Aufgaben. Gewähren wir dies uns selbst und anderen, um mündig zu werden? Der griechische Anrede PAIDIA, die Johannes auch hier wie-der in der Koseform braucht, bringt uns noch auf einen an-deren Aspekt des Kindseins. Er berührt die Erziehung. Wir erkennen die Worte "Pädagoge, Pädagogik" in der Anrede PAI-DIA. Es zeigt uns, dass Kinderzeit auch mit harter Ausbildung zu tun hat. Besonders mit Charakterformung. Königs-kinder an den europäischen Höfen machen oft eine harte Zeit unter ganz normalen "Bürgerlichen" mit, zum Beispiel im Militär. Wer herrschen soll, soll dienen lernen! Werden wir nicht im kommenden Zeitalter diesen Kosmos mitregieren, ja sogar über Engel herrschen (siehe 1.Korinther 6,2-3)? Ein Kind bleibt nicht stehen. Es entwickelt sich, wenn es dient und gefördert wird.

Die jungen Menschen.

Der "junge Mensch" steht auf, er ist laut Johannes "stark, hat das Wort Gottes in sich und hat den Bösen überwunden". Jetzt kommt die visionäre Zeit; die Zeit des Aufbaus im Reiche Gottes, die Kampfeszeit! Es ist ein wunderbarer, herausfordernder Lebensabschnitt, in dem das Wort Gottes Gestalt annimmt und der Böse Niederlagen einsteckt. Fast alle Missionswerke und Gemeinden und karitative Werke entstehen durch diese "jungen Menschen". Man muss sie machen lassen, fördern, wo es nur geht und das Negative dieser Zeit nicht zu hoch bewerten. Unter "negativ" steht das Un-gestüme, die Sturheit, das zum Teil Unbelehrbare, das Draufgängerische und Gewagte der "Jugend". In Siegen und Rückschlägen reift der Mensch zu einer weiteren Stufe der Mündigkeit.

Mit dem griechischen Ausdruck NEANISKOI gibt Johannes noch eine ergänzende Botschaft. Sie hat mit dem Wort "neu" zu tun, das auch vom griechischen Wort NEOS kommt. Wir kennen Wortbildungen wie "Neoheiden, Neonazis" usw.; sie bedeuten, dass altbekannte Inhalte sich "neu" entwickeln, auch wenn es negativ besetzte Inhalte sind. Ein NEANISKOS hat also mit Neuem zu tun, das aus dem Alten hervorgeht. Er inves-tiert neue, jugendliche Kraft. Er geht mit den Qualitäten der Jugend an Neues heran, das eigentlich nicht neu ist. Genau das brauchen wir im neuen Aufbau alter biblisch fun-dierter Wahrheiten. Sie stellen vermeintliche Mündigkeit in neues Licht und lassen feste Fundamente der Gemeinde um so fester werden. Übrigens: im alten Griechentum galt ein Mann bis zum 40. Altersjahr als "junger Mann"!

Die Väter.

Als letzte Gruppe spricht Johannes die "Väter" an. Der Grund: "Weil ihr den erkannt habt, der von Anfang ist." Das eindrücklichste Zeichen eines Vaters scheint der Überblick zu sein. Er kann ein Verständnis bewahren, das losgelöst ist vom hektischen Tagesgeschehen. Der "Vater" ist nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Er sieht die grossen Zusammenhänge, weil er Gott, den "Anfänger und Vollender" erkennt (vergleiche Hebräer 12,2). Seine Vorschläge zu Problemlösungen tauchen aus tieferer, göttlicher Weisheit auf. Die griechische Anrede für Väter bei Johannes ist PATERES. Wir erkennen leicht den "Pater", den Namen für den katholischen Priester wieder. Das führt uns auf eine priesterliche Spur: Der Vater, der Pater, hat den priesterlichen Blick auf Gott. Er verkehrt mit dem Unfassbaren, dem Ewigen, mit dem Gott, der alles im Griff hat und immer einen Ausweg weiss. Die "Väter" leben in der Gesinnung des Zusammenhanges, der uns auch im Wort PATRIA - Vaterland - begegnet. VATERland und MUTTERsprache: Vollendung aus dem Anfang (siehe oben unter "Kindlein").

Nur Väter oder Mütter, die in dieser Weise zur Mündigkeit gewachsen sind, können in der Gemeinschaft der Gläubigen andere zur Mündigkeit führen. Anerkennen wir unsere „reifen Alten" genug, wenn sie trotz mancher Knorrigkeit und Simplifizierung oft schmerzhaft, aber treffsicher in unser Leben und in unsere scheinbare so komplexe, moderne Welt hineinreden? Es würde uns selbst reifer und mündiger machen. Und uns helfen, andere mündiger werden lassen.

Wie verlaufen die Reifeprozesse?

Die Grundreife ersieht man am Charakter und der Umsetzung desselben in den Werken. "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen."
Schwerer wird es in den Mischformen. Es kommt oft vor, dass ein Mensch Gottes auf verschiedenen Lebens -und Arbeitsgebieten unterschiedliche Reifegrade zeigt. Zum Beispiel kann jemand VATER auf seelsorgerlichem Gebiet sein und KIND in biblischen Lehrfragen. Oder JUNGER MENSCH im evangelistischen Bereich und KINDLEIN im Pastoralen, KIND in Predigt und Lehre, aber VATER in der Fürbitte. Wohl dem, der nicht mit VATER-Fragen zum KIND geht und mit KINDLEIN-Fragen zu einem anderen KINDLEIN.

JoomShaper