Das Neue Testament kennt verschiedene Arten des Vergebens. Wo liegen die Unterschiede und wie können wir sie praktizieren? Diese Frage bewegt mich seit einiger Zeit.
In den Anfängen meines Christseins war das anders. Da wusste ich nur um eine Wahrheit. Und die hiess: Vergib! Egal was, wo, wem, wie. Einfach: Reiss dich zusammen und tu' was das Wort sagt.
DU MUSST VERGEBEN, SONST...
...verlierst du deine Vergebung von Gott! So wurde ich gelehrt. Denn, so hiess es, im Vaterunser (Matthäus 6,12+15) würde es klar gefordert: "...und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern!" Und kurz darauf: "...wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater auch nicht vergeben." Ich lebte viele Jahre mit dieser Forderung zum Vergeben und auch der Überforderung, bei Nichtbefolgen meine eigene Vergebung - und somit mein Heil!! - zu verlieren. Es kam sogar soweit, dass ich gedankenlose Vaterunser-Beter beneidete, weil sie im Herunterrasseln des Gebets sich nicht dessen Brisanz bewusst waren!
DIE VIER ARTEN DES VERGEBENS IM NEUEN TESTAMENT.
1. Die erste ist...nicht vergeben!
2. Die zweite ist...vergeben im Sinne des Abgebens.
3. Die dritte ist...vergeben im Sinne des Erlassens, Schenkens.
4. Die vierte ist...vergeben im Sinne des sich 'auswechseln', hingeben.
1. Nicht vergeben soll vergeben sein?
Nun ja, eigentlich nicht. Aber wenn wir Johannes 20,23 so verstehen wollen, dann gehört die Botschaft des 'Sünden-behaltens' zu unserem Thema des vergeben oder eben - nicht vergeben. Mit dem anfänglichen Empfang des Heiligen Geistes gibt der Auferstandene seinen Jüngern die Vollmacht Sünden zu erlassen oder nicht. Wenn einem die Sünden 'behalten' werden (siehe Text Johannes 20,23), dann sind sie eben nicht vergeben. Und lasten auf dem Schuldigen bis sich - das nehme ich an - die Situation so verändern würde, dass dem Schuldigen vergeben werden kann. Zu wissen, wer in diese 'Kategorie' von Schuldnern fällt, dürfte ohne Leitung des Heiligen Geistes sehr schwer oder gar unmöglich sein.
Selbst Paulus schreibt im 2.Brief an Timotheus, Kap. 4 Vers 14, dass er dem Alexander nicht vergibt. Erstaunliche Haltung bei diesem vorbildlichen Mann Gottes! Hingegen vergibt er anderen Brüdern, zwei Verse weiter im gleichen Brief...
Selbst Gott vergibt Einigen nicht in diesem Zeitlauf. Nämlich denen, die die Sünde wider den Heiligen Geist begehen (Matthäus 12,32). Das ist schwere Kost und hat schon viele in Herzensnot getrieben. (Jedoch meistens zu Unrecht, weil oft gerade die Herzensnot der Indikator ist, dass man es nicht tat!). Mehr zum Thema 'Nicht vergeben, Fluch, ANATHEMA' bei www.xandry.ch anklicken...
Auch 'geheiligte' Gläubige können im Schmerz erlittener Verletzungen der Leitung des Heiligen Geistes nicht absolut sicher sein. Darum empfehle ich das Nicht-vergeben nur mit grösster Vorsicht!
Interessant ist, dass das Wort 'erlassen' das gleiche ist, das oft im griechischen Urtext für 'vergeben' gebraucht wird: APHIEMI. Und genau dieses Wort führt uns in die nächste Betrachtung hinein, zur zweiten Art.
2. Ich vergebe ja...aber auf eine besondere Art. Es ist die des Abgebens.
Wem von uns Christen wärs' nicht bekannt: das Hin - und - Her beim Vergeben. Ich tue es - aber ist's von Herzen? Ich tue es, aber warum bleibe ich oft so unsicher, ob ich es wirklich tat? Es braucht nicht viel und alte Wunden reissen auf. Die Nennung eines Namens, beiläufige Bemerkungen, ein Wiedersehen oder eine neue kleine Verletzung und - grössere Wunden reissen auf, die wir längst gut vernarbt glaubten. Wir vergeben erneut. Und wieder und wieder. Wieviele mögen wohl jahrelang im 'Vergebungs-Karusell' rotieren?
Zum Glück kommt bei vielen Christen irgendwann 'christliches' Wachstum: die Zeit des Bücherlesens, der Heilungs - Seminare und besonders des Lebens mit dem lebendigen Gott brachte ein tieferes Verständnisses. Zum Beispiel, dass man Gehorsam und Gefühl trennen darf: Man vergibt, aber man muss es 'nicht spüren'. Oder man lernt, 'sich selbst zu vergeben' bis man anderen 'richtig vergeben' kann. Man lernt abzugeben, man lernt das APHIEMI-vergeben: abgeben, vergeben, loslassen.
Ich könnte noch viele Beispiele nennen, weil ich selbst in Seminaren lehrte, wie man aus dem Dilemma Gehorsam versus Gefühle herauskommt.
Einiges half wirklich, mir und anderen. Das beste was ich damals lernte und dann lehrte, war das Klagen. Offen und ehrlich sein vor Gott, klagen können, das Herz leeren, Unfähigkeiten bekennen und auf seine Hilfe hoffen. Das tat gut und erleichterte das Vergeben, das Weg-geben, das Abgeben der Schmerzen an Ihn. Und somit auch das Abgeben von Personen an Ihn.
Es ist die Vergebungsart, die wir im Vaterunser und in den Evangelien finden.
In einem Seminar 'zur inneren Heilung' lernte ich 1984 sehr hilfreiche Schritte in der Vergebung. Es kann wie eine Treppe mit vier Stufen gesehen werden. Die unterste Stufe war die revolutionärste für mich, da man in meinem pietistisch-geprägten christlichen Werdegang ausgerechnet dies nie lernte: klagen dürfen!
A) Erste Treppenstufe: KLAGE AN!
Damit ist nicht das Klagen vor Menschen gemeint, sondern vor Gott. Erzähle ihm ausführlich, wie du die Schuld des anderen siehst und empfindest. Klage auch den anderen namentlich an, zum Beispiel: 'Peter, ich finde dein Verhalten mir gegenüber so verletzend. Du hast.....etc.' Klage auch über deine Seelenschmerzen, die du nun hast. Interessant ist, dass man durch die detaillierte Darstellung eine 'bessere Dimension' der vorgebrachten Klage erkennt. Ich sehe auf einmal auch das eigene - schuldige - Verhalten, das den anderen reizte, mir gegenüber schuldig zu werden. Vor dem Klagen sah ich die Schuld des anderen wie in einem Nebel voller Schmerzen und Enttäuschung. Nach dem Klagen ist sie 'redimensioniert', fassbarer und damit leichter zu vergeben! Also kann ich nun in einer der drei Arten vergeben.
B) Das wäre Treppenstufe zwei: VERGIB!
Dazu drei Tipps. Tipp eins: Vergib mit der Bereitschaft, wieder verletzt zu werden. Die allermeisten Verletzungen im Leben werden von den Nahestehenen verübt. Immer und immer wieder...
Tip zwei: Vergib ohne Erwartungen irgendwelcher Art. Erwartungen werden fast immer enttäuscht. Der andere kennt deine wahren Erwartungen und Gefühle sowieso nicht. Also lass ihn - Tipp drei: Frei! Freilassen beim Vergeben bedeutet einerseits, dass du nicht mehr an ihn gebunden bist. Du musst nicht mehr an ihn vorwurfsvoll denken. Und er oder sie kann so frei handeln wie er/sie will.
C) Die dritte Treppenstufe heisst:
VERGIB DIR SELBST!
Vorwürfe, die wir uns immer und immer wieder machen, helfen uns nicht.'Hätte ich doch...' oder 'Wäre ich doch...' oder 'So lange machst du schon...' oder 'Diese Gelegenheit kommt nie wieder...'
Vergib dir selbst - so wie du ja auch dem Nächsten vergibst. Kennen wir dies nicht auch von der Liebe? "Liebe den Nächsten wie dich selbst" heisst es doch im zweiten Teil des grössten Gebots in den Evangelien!
D) Die vierte Treppenstufe heisst:
LEBE AUS DER VERGEBUNG HERAUS!
Vielleicht wäre besseres deutsch: Lebe mit der Vergebung? Nun, wenn Vergebung mit zu einer Haltung wird, zu einem Lebensstil, dann kann ich von einer solchen Haltung viel profitieren. Und natürlich auch der sich an mir Verschuldigende! Ein Beispiel: Ich werde ja - wie oben erwähnt - meistens von Personen verletzt, die mir nahestehen. Also kenne ich sie gut. Ich kenne ihre Stimmlage, ihre Verhaltensmuster, ihre Empfindlichkeiten, ihre Reizwörter und vieles mehr! Dadurch bemerke ich meistens das Kommen einer Verletzung - und kann mich im voraus darauf einstellen. Mein 'Vergebungsprozess' in mir beginnt schon bei den 'Vorboten' der Verletzung. Ich werde zwar dennoch verletzt und es tut mir auch weh, aber ich will ja vergeben und will ja in einer Vergebungshaltung leben!
Es erleichtert sehr das Zusammenleben.
Mit diesen 'Treppenstufen' konnte ich gut das Abgeben einüben.
Das APHIEMI-Vergeben ist ein Abgeben.
"Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern". Hier wird für 'vergeben' im Urtext das Wort APHIEMI gebraucht. Es heisst hauptsächlich 'weggeben, von sich lassen, entsenden'. Es wurde unser Wort 'vergeben' im Zusammenhang mit Schuld. Im Deutschen gibt es noch ein bekanntes 'vergeben' - nämlich 'einen Auftrag zu vergeben'! Da erkennt man gut, dass es um ein weg-geben handelt. Sollte es im Vaterunser und den vielen anderen Stellen im NT auch so gemeint sein? Dann wäre vergeben ein an Gott abgeben, eine Schuld samt dem Schuldner an Gott abgeben. Einfach so? Ja, einfach so. Viele Christen nennen dies 'ans Kreuz Jesu bringen', 'es an Jesus am Kreuz abgeben, der ja alle Sünde auf sich nahm'. Recht haben sie. Auch mit der Mahnung, es nicht wieder vom Kreuz zurückzuholen. Aber genau dies geschieht, wenn alte Wunden aufreissen und alte Schuld wieder aufftaucht. Der Grund dazu mag viele Ursachen haben.
Jedoch meine ich, es hat meistens irgendwie mit der Gefühlswelt zu tun, die eine ganz persönliche bleibende Komponente eines jeden ist. Und nicht 'so einfach' ans Kreuz geworfen werden kann!
Gott kennt unsere Gefühle beim vergeben.
Gott weiss doch, dass wir vieles - auch das vergeben/weg-geben - aus Gehorsam zu Seinem Wort machen, nicht weil 'uns danach zumute wäre'! Die verletzte Gefühlswelt - und unser Gerechtigkeitsempfinden dazu - bleiben in uns, die Vergebungsworte dagegen bringen wir äusserlich 'ans Kreuz'. Worte raus, verletzte Gefühle aber bleiben im Herzen. Gott weiss dies, als unser Schöpfer und Herzenskenner. Darum braucht der Heilige Geist im Vaterunser-Gebot das Wort APHIEMI, um 'vergeben' auszudrücken. Es darf sein: die verletzten Gefühle dürfen bleiben! Erst einmal vergeben - ver-geben - weg-geben, den Auftrag des Vergebens an Gott ab-geben...und nicht in sich 'reinfressen', das ist wichtig. Dann aber auch erleben dürfen, was Gott damit macht, das ist das APHIEMI-vergeben. Ich gebe ihm die Schuld meines Schuldners ab, samt dem Schuldner dazu. Nun ist es Gottes Sache.
Was macht Gott mit diesem Auftrag? Wenn ich das wisssen will, heisst das praktisch, dass ich immer wieder mal 'nachsehen' darf, was er daraus gemacht hat. Dies verstehe ich ähnlich so, wie ich nach der Fürbitte für jemand auch nachfrage, ob schon eine Gebetserhörung eingetroffen ist.
Von meiner Gefühlswelt her bin ich sehr interessiert daran, zu wissen, ob Gott nun eingreift und mir 'Recht schafft' oder ob er die Sache noch ein wenig reifen lässt oder zuwartet bis sich eine Lösung zeigt. Bis sich SEINE Lösung zeigt. Diese 'Lösung' kann eine 'Erlösung' für die Schuld des anderen sein. Oder es kann sich für mich eine Erlösung von meinen verletzten Gefühlen ergeben. Oder ich kann mehr eigenes Verschulden mit der Zeit erkennen und froh darüber sein, dass ich mich nicht selbst 'gerächt' habe. Oder, oder...so viel anderes kann geschehen. Gott hat den richterlichen Überblick, für sein gerechtes Eingreifen übergab ich ja auch mein Ver-geben.
Dann brauche ich für meine eventuell länger anhaltenden verletzten Gefühle und Seelenschmerzen kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.
Die Gefahr der Bitterkeit.
Einen Haken hat die Sache dennoch. Meine Gefühlswelt könnte sich negativ verändern - und bitter werden. Es ist ein Unterschied,ob ich meine Verletzung und ungerechtes Behandelt-worden-sein an Gott abgebe und dann bei ihm wirklich belasse (und dabei 'nur' nachsehe was aus meiner Ver-gebung wurde), oder ob ich an Gott abgegeben habe und dennoch meine Gerichtssache selber führen will. Wie das?
Zum Beispiel könnte ich Gott unter Zeitdruck setzen: "Du musst jetzt was machen, du solltest schon lange meinem Schuldner gezeigt haben, dass..." Oder: "warum entschuldigt er/sie sich nicht endlich"? Oder: "Ich habe immer noch keine Genugtuung erhalten..."
Wenn ich so handle, könnte sich Bitterkeit in meiner Seele einschleichen.
Jeder prüfe sich selbst darin. Wegen dieser Gefahr ist es vielleicht besser, ich bitte Gott, dass ich das APHIEMI-vergeben mit dem CHARIZOMAI-vergeben ersetzen könnte.
3. Schuld verschenken.
Wie bitte? Ein Geschenk ist doch was Schönes! Nicht immer.
Es gibt Schenkungen, die einem finanziell ruinieren würden (ein hochverschuldetes Landgut zum Beispiel). Es gibt auch Geschenke mit Berechnung und Hintergedanken. Oder solche, die einem nicht gefallen - die Nippesfigur von Tante Emma etwa? Und es gibt Geschenke, die erfreuen einem vielleicht erst in Zukunft, wenn man ihren wahren Wert versteht. So denke ich mir ist ein 'Schuld-Geschenk'.
Schuld ist nichts Schönes. Sie trennt Menschen. Und sie trennt von Gott.
Selbst ein kleines Vergehen bringt eine Schuld. Ich müsste sie einsehen - das widerstrebt mir, war der andere nicht auch schuld? Ich müsste mich 'entschuldigen'. Das lässt mein Stolz oft nicht zu, schliesslich könnte sich der andere zuerst entschuldigen. Ich müsste eventuell Wiedergutmachung leisten - dies kann mit unverhältnismässig grossem Aufwand verbunden sein. Wäre es nicht am besten, meine Schuld würde mir geschenkt?
Dann könnte ich auch anderen 'schenkend vergeben'. Dies sagt die dritte Art des Vergebens im NT aus:
Das CHARIZOMAI-vergeben.
Luther übersetzt dieses Verb CHARIZOMAI mit verschiedenen Worten im 22maligen Vorkommen. Zum Beispiel mit 'geben' im Philipperbrief 1,29. Oder mit 'schenken' im Kolosser 2,13. Oder mit 'vergeben' im Kolosser 3,13 um nur einige zu nennen.
Epheser 4,32 beeindruckte mich seit langem als Aussage: 'Seid aber untereinander freundlich, herzlich und vergebet (CHARIZOMAI) einander, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christo.' Hier kommt das 'Schenken' zum Zuge, denke ich. Jesus schenkte sich uns in seinem Leben und Sterben. Wenn er vergibt, dann schenkt er uns die Sünden.
Das Wort CHARIZOMAI hat zwei der wichtigsten Worte des Neuen Testamentes im Wortstamm. Es sind CHARIS, Gnade und CHARA, Freude. Also könnte man CHARIZOMAI auch mit 'mit Freude Gnade schenken' übersetzen. Unser bekanntes Wort EUCHARISTIE findet hier ihre Wurzeln. Dort 'verschenkt' sich Gott in Jesus und wir nehmen es dankbar an.
Oder im Epheser 4,32 nochmal: "Schenket einander mit Freuden die Schuld, verschenkt euch einander"! In dieser Art des Vergebens gebe ich Jesus die Schuld des anderen völlig ab. Es ist mir eine Freude, dies zu tun. Und sage dem Herrn, er möge doch dem in meinen Augen Schuldigen die Schuld schenken. Schenken, nicht nur 'erlassen' und ihn dabei tiefer in die Lebensschule führen, damit er mit der Verschuldung an mir etwas lerne.
Somit ist das CHARIZOMAI-vergeben eine abgeschlossene Schuld für den Schuldner.
Ich denke, sie ist auch für meine Seele heilsamer als das APHIEMI-vergeben.
4. Das Versöhnen-vergeben.
Gott hat sich mit uns versöhnt im Opfer seines Sohnes. Die Botschaft des Apostels Paulus im 2.Brief an die Korinther, Kapitel 5, Verse 14-21 sehe ich als Schlüsselstelle dazu. Vers 17 kennt fast jeder biblisch orientierte Christ: "Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung, das Alte ist vergangen, siehe es ist Neues geworden". Die Grundlage dazu ist die Versöhnung. Ich las einmal, das Wort 'Ver-Söhnung',solle an den 'Sohn' erinnern. Es ist ein schönes Wortspiel, das aber nur im Deutschen Sinn macht!
Das für Versöhnen gebrauchte griechische Wort in diesem Text heisst KATALASSO. Genau übersetzt bedeutet es: 'den andern (ALLOS) von oben herab ändern, ausgleichen, auswechseln'.
KATALASSO kommt aus dem antiken Zahlungswesen und bedeutet dort 'gänzlich auswechseln', 'völlig austauschen', 'etwas ganz geben, wie auch der Geschäftspartner etwas ganz gibt'. Es ist wie ein Wechselgeschäft in unserer Bankenwelt.
Gott gab seinen Sohn ganz und wechselte uns dafür ganz ein, das ist die Versöhnung in unserem Text, denke ich. Gott vergab uns ganz, indem er Jesus mit uns 'eintauschte', er tauschte uns aus: hier der sündlose Sohn, dort die sündigen Menschen.
Kann dieses Versöhnen-vergeben auch von uns in einer Art gelebt werden? Hat der Leib Christi, haben die Gläubigen auch noch eine Austausch-Eintausch-sich-ganz-geben-Aufgabe? Wie das Haupt, so die Glieder? Nach Kolosser 1,24 'erstattete' Paulus was noch 'mangelt an Trübsalen in Christo, für seinen Leib,welcher ist die Gemeinde'. Ein schwieriges Wort, aber wenn es Paulus galt, wird es auch heute noch einigen Gemeindegliedern gelten. Was immer im Detail Paulus damit meinte, ist nicht so klar. Aber es bedeutete bestimmt etwas Radikaleres, etwas Schmerzhafteres als was im 'normalen Christenleben' vorkommt.
Zurück zu unserem Wort KATALASSO im Text. Vielleicht gibt es auch eine Vergebung, die sich mit der Schuld des anderen so stark identifizieren kann, dass man quasi 'das schuldig-gelebte Leben des anderen mit seinem eigenen Leben eintauscht'.
Ich hörte von Missionaren aus den Anfängen der Herrnhuter Brüderbewegung - weiss aber nicht, ob ich es hier richtig wiedergebe - die einen Galeerensklaven mit sich selbst freikauften und dann an seinem Platz ruderten und litten. Sie konnten auf diese Art auch den anderen Galeerensklaven das Evangelium nahebringen. Einige bezahlten diese 'Auswechslung' mit ihrem Leben, so wie ihr geliebter Meister.
Wenn wir, oder wenigstens einige von uns, solche Jesus-ähnlichen Botschafter laut 2.Korinther 5,20 sein sollten, verstehen wir auch einen anderen KATALASSO Text in einem tieferen Licht. Es ist 1.Korinther 7,11.
Dort ginge es dann auch nicht um eine 'normale' Versöhnung, wie es gerade in der Ehe oft so notwendig ist, sondern eher um eine 'versöhnende Identifikation' mit dem Partner. Oder, wenn ich es recht verstehe, dass man dem Partner nicht nur vergibt und sich mit ihm versöhnt, sondern sich mit ihm so indentifiziert, dass man sich an seine Stelle versetzt.
Anders ausgedrückt wäre das KATALASSO versöhnen-vergeben...
...so zu vergeben, dass man die Schuld des anderen auf sich nimmt, sich derart mit ihm versöhnt, dass man das Leben des anderen in Hingabe mitleben kann.
ZUSAMMENFASSUNG:
1. Man muss nicht immer nur vergeben, man kann auch Sünden - unter der Leitung des Heiligen Geistes - nicht vergeben.
2. Man kann so vergeben, dass der Schuldige etwas lernt dabei. Es ist das APHIEMI-Vergeben, das Abgeben des Schuldners an Jesus, der ihn in seine Erziehung nimmt.
3. Man schenkt dem Schuldigen die Schuld. Es ist das CHARIZOMAI-vergeben.
4. Man identifiziert sich mit dem Schuldigen. Man versöhnt sich (als Geisteshaltung) mit ihm derart, dass man sein Leben mit ihm mitlebt. Dies wäre das KATALASSO versöhnen-vergeben.