2. Die Novelle

Der Archivar

Mein Name ist Kypt, Parakypt. Ich bin ein Engel. Ein neugieriger Engel. Vielleicht wurde ich darum beauftragt, relevante Daten in Bezug auf die Beziehung Mensch-Gott zu sammeln und auszuwerten. Die himmlischen Archive haben für die Engelwelt eine gewisse Bedeutung. Denn auch wir Engel sind am lernen, besonders was die Gnade angeht. *1) Wir sind Gesetzes-Freaks, wissen aber, dass das Gesetz nur vorübergehend eine gesellschaftliche Stütze ist. Wir Engel beobachten aus den Himmeln herab, wie Gott auf Erden wirkt - besonders bei den Menschen. Es interessiert uns, wie er diese oft so selbstsüchtigen, chaotischen und triebgesteuerten Wesen leitet. Und am meisten fasziniert uns, wie er sie durchs Gesetz zur Gnade bringt. Ein wahrlich schwieriges Unterfangen! Bei den meisten Beobachteten hätte ich es schon nach wenigen Versuchen aufgegeben. Zum Glück ist mein Job nur archivieren. Nun ja, bei meiner Arbeit habe ich aber auch gewisse Freiheiten. So konnte ich beispielsweise einmal in etwas hineinspähen, das eher meine private als meine berufliche Neugierde weckte: Ich durfte die Lebensgeschichte eines Geistes verfolgen und dokumentieren. Eines Geistes, nicht eines Menschen. Eines Geistes, von klein auf! Ein solcher Einblick war - und ist es immer noch - außergewöhnlich und ergibt eine außergewöhnliche Geschichte. Ich sah einen Werdegang, der es verdient hat, aufgezeichnet zu werden.

Und eben, an diesem lasse ich Sie nun teilhaben.

Der Ghostwriter

Vielleicht hätte der Geist seine Geschichte gerne selbst erzählt. Aber das geht aus mehreren Gründen nicht. Lange Zeit konnte er nicht einmal sprechen. Nicht, dass er es nicht gewollt hatte, nein - sondern weil er es nicht konnte. Er war stumm. Hören konnte er übrigens auch nicht, aber davon dann später in dieser Geschichte. Heute kann er beides, reden und hören, ist aber einverstanden, dass ich seine Geschichte erzähle. Den Gefallen tue ich ihm gerne, weil ich der Einzige bin, der seine Geschichte aus einer besonderen Perspektive berichten und niederschreiben kann. Nämlich aus dem Blickwinkel eines Geistes. Als Engel bin ich ja auch ein Geist. Mit dieser Geschichte werde ich zusätzlich - im wahrsten Sinne eines modernen Begriffs - ein "Ghostwriter"!

Die Kurzfassung seiner Lebensgeschichte ist übrigens schon millionenfach gelesen worden. Sie steht - man stelle sich das vor - nicht nur in meiner himmlischen Chronik, sondern schon seit ungefähr 1900 Jahren in einem dicken Buch, in dem viele Geistergeschichten vorkommen.

Dort erwähnt ein gewisser Markus, auch ein Chronist übrigens, den Geist meines Interesses in einer Art und Weise, dass die meisten Leser diesen Geist unsympathisch finden und ihm innerhalb einer anderen Erzählung nur einige negative Gedanken widmen. Aber lassen wir es das. Dafür darf ich jetzt guten Gewissens behaupten, dass meine Version "aus erster Hand" mit Hintergrunds-Informationen die "autorisierte" Markus-Erwähnung des Geistes überraschend anreichert. Geistreich anreichert, bitte sehr - wenn sie auch als Biographie wohl manchem Leser stellenweise zu fantasievoll vorkommen wird. Aber das darf sie auch. Verändern sich nicht älter werdende Geschichten mit ihren alternden Erzählern?

Und das ist bei uns Geistern (wenigstens im privaten Bereich) auch nicht anders als bei den Menschen.

PAIDIOS

In dem dicken Buch, das ich schon erwähnte, steht, dass der Schöpfer alle Engel mit Namen kennt. *2) Schön zu wissen. Ich dagegen, immerhin als "offizieller Archivar", kenne nur zwei seiner Engel mit Namen: Gabriel und Michael. Alle anderen Engel hüten das Geheimnis ihres Namens, obwohl rege Kommunikation zwischen ihnen in den Himmeln geschieht. (Vermutlich hätte auch ich meinen Namen nicht nennen dürfen. Hoffentlich hat dies nicht noch disziplinarische Konsequenzen für mich!).

Bei der Konkurrenz, in der dunklen Geisterwelt, sieht es mit den Namen etwas besser aus. Vom dortigen Hauptakteur kenne ich immerhin fünf Namen *3) und von seinpen Adjutanten noch zwei dazu. *4) Aus der niederen Geisterklasse hat sich einer mit seinen Weggenossen zusammenfassend LEGION genannt. Er sagt, der Grund dazu wäre: "...denn wir sind viele". *5) Oft haben Namen auch mit Einblicken in die Aufgaben und den Charakter der Träger zu tun. Darum darf ich nach der Offenlegung meines Namens PARAKYPT auch seine Bedeutung verraten. Übersetzt aus dem Griechischen heisst er: "Sich bücken nach etwas, um es genauer zu sehen". Der Hineingucker. Der passt doch super zu mir, oder?

Aber diese ganze Rede hätte ich mir sparen können. Ich schäme mich ein wenig über meine Geschwätzigkeit. Denn eigentlich wollte ich nur berichten, dass der Geist meiner Erkundigungen keinen offiziellen Namen hat - beziehungsweise ich ihn nicht kenne. Apropos Schwatzhaftigkeit: Es drängt mich, ein kleines Geheimnis (der Schöpfer möge es mir verzeihen) preiszugeben: Ich habe diesem Geist einen Namen gegeben. Da er anfangs nur ein kleiner Geist war, habe ich ihn eigenmächtig PAIDIOS *6) genannt.

Doch nun hinein in seine Lebensgeschichte:
Der kleine Geist hatte ein Problem. Er bemerkte bald einmal, dass er in dieser Menschenwelt, in dieser Wohnung, nicht sprechen konnte. PAIDIOS hatte aber noch ein Problem. Denn hören konnte er auch nichts von dem, was die Menschen so sprachen. Er war also - nach menschlichem Ermessen - taubstumm! Zum Glück sah er gut und lernte schnell sich zurechtzufinden in seiner Wohnung und - mit seiner Wohnung. Aber vergessen wir nicht - seine "Wohnung" war ein Kind! Und dieses konnte nun - wegen ihm - auch nicht sprechen und hören! Da ich längere Zeit PAIDIOS beobachtend begleitete, tat mir der Knabe stets mehr leid...er war ja gesund und nur wegen seines Mitbewohners so eingeschränkt. Jedoch bemerkte ich bald, dass auch PAIDIOS unzufrieden wurde in der Übertragung seiner Sprach -und Gehörlosigkeit auf den heranwachsenden Buben. Aber warum, das fand ich nicht heraus - und PAIDIOS wollte es mir nicht sagen.

War der hauptsächliche Grund seiner bemerkbaren Unzufriedenheit etwa, dass er sich mit seinem Wachstum im wachsenden Knaben "zu größerem" berufen fühlte und gerne in eine größere Wohnung umgezogen wäre? (Ich denke, die Pubertäts-Hormone auf "Geisterart" trieben ihn ebenso um, wie ich das bei den pubertierenden Menschenkindern sehe!).

Tiefe Vergangenheit

Meine archivarische Tätigkeit hatte natürlich Grenzen bei dem Einblick in die tiefere Vergangenheit von PAIDIOS. Aber da man ja den Ursprung und den ursprünglichen Werdegang bei keinem Geschöpf Gottes nachvollziehen kann, störte es mich nicht. PAIDIOS selbst weiss auch nur noch Bruchstücke seiner frühen Kindheit. (Kindheit? Ist dieser Ausdruck überhaupt passend für einen Geist, der sich gar nicht an einen Vater oder eine Mutter erinnern kann?)

Ich nehme ja an, dass alle Geschöpfe Gott als Vater und seinen Geist als Mutter haben. Aber passt der "Vater-Mutter-Ausdruck" vielleicht doch nicht so gut bei dem Entstehen, bei dem Erwerden der Geister?

*7) Jetzt bin ich versucht, noch gescheiter zu reden: Vielleicht entstand PAIDIOS durch eine "Parthenogenese", durch eine "Jungfrauengeburt"? Also nicht durch männlich-weibliche Befruchtung *8) sondern durch Teilung eines Geistes in zwei oder mehrere Geister? So könnte es sein, dass kleinere Geister aus größeren "abgeteilt, geboren" werden. PAIDIOS realisierte einfach - so erinnerte er sich - dass er irgendwann da war und zwar als ein sehr kleiner Geist. Er wusste leider nicht mehr, ob er als kleiner Geist nun Aufgaben suchte, oder ob sie ihm zugewiesen wurden. Klar war nur, dass er in der Welt der Menschen eine Wohnung brauchte, einen Körper, der seiner Jugend und kindlichen Kraft angepasst wären. So streifte er umher und suchte - bis er ein Kind fand, das zu ihm "passte". *9) Dort zog PAIDIOS ein und lernte nach und nach im Leben des Knaben zu leben. Aber Zwei Leben in einem Leben vereint, das konnte auf die Länge nicht gut gehen.

PAIDIOS wurde stets unzufriedener. Er wollte raus aus diesem jungen Mann und - zum Beispiel - rein in eine "ansehnlichere" Wohnung, in irgend einen wichtigen Menschen. Aber wie sollte das stattfinden? Aus eigener Kraft konnte er den Knaben nicht verlassen (warum dies, verrate ich später) und auf seine grossen Geist-Vorgesetzen konnte er nicht zählen. Die waren stets anderweitig beschäftigt und kümmerten sich nicht mehr um ihn. Schreien und seinen Wunsch nach Freiheit zu äußern, konnte er, der Stumme, auch nicht. Ab und zu kamen jüdische Exorzisten vorbei und gaben sich viel Mühe, um ihn auszutreiben. Aber es funktionierte nicht. Sie hatten keine Vollmacht. PAIDIOS wurde immer enttäuschter - ähnlich übrigens wie der Vater des Knaben, der die Behinderung seines Sohnes täglich hilflos miterlebte.

PAIDIOS musste einen anderen, einen stärker wirkenden Weg finden, um auf sich aufmerksam zu machen und aus dem Knaben rauszukommen. (Als Archivar darf ich vorgreifen, lieber Leser, und Ihnen verraten, dass die grosse Stunde der Befreiung aber bald stattfinden sollte). PAIDIOS fing nun an, in seinem Gefängnis (so nannte er mittlerweile seinen Wirtskörper) herumzutoben. Er warf den Knaben auf den Boden, knirschte mit dessen Zähnen, erzeugte Schaum vor dem Mund und liess ihn erstarren. Aber erst als PAIDIOS zu mehr Dramatik griff, erst als er ihn ins Wasser und sogar in die Feuerstelle warf, suchte der Vater mit aller Kraft nach den Besten in Sachen Exorzismus.

Ungläubige Generation!

Aber, wie gesagt, das mit den zwei so unterschiedlichen Leben konnte ja nur zu Problemen führen. PAIDIOS machte dem Knaben nicht nur stumm und taub, sondern er kontrollierte auch seine Körperbewegungen. Verständlicherweise wollte man PAIDIOS wieder loswerden. Aber alle Vertreibungsversuche scheiterten - der taube Geist konnte ja weder Beschwörungen hören noch darauf reagieren! So blieb es längere Zeit, bis...ja, bis sich eines Tages in Windeseile herumsprach, dass dieser Jesus von Nazareth mit seinem Trupp in der Gegend war. Wunderliche Dinge reimten sich um seine Person. Er soll Vollmacht über den Wind haben und - man höre und staune - er soll sogar Tote wieder ins Leben zurückgeholt haben. Aber das Beste, was man so von Jesus hörte, war, dass er sich offenbar vieler kranker und geistgeplagter Menschen von Herzen annahm und alle heilte. Der Vater machte sich also auf den Weg zu diesem Nazarener, zusammen mit seinem Sohn und dem unerwünschten "Gast" in ihm. (Und ich, der neugierige Archivar, war auch als stiller Beobachter dabei).

"Es war eine paradoxe Situation" erinnerte sich PAIDIOS später: "Alle wollten so sehr, dass ich endlich verschwinden würde und hatten dabei null Ahnung, dass auch ich es mir sehnlichst wünschte!" PAIDIOS erzählte mir weiter: "Bald fanden sie - oder soll ich sagen "wir" - eine Gruppe von Männern, die ihrerseits wieder umringt waren von Menschen. Beim Näherkommen erkannte man eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von allerlei Volk. Sogar Schriftgelehrte standen herum. (Das waren in meinen Augen Vielschwätzer, bei denen ich oft froh war, nichts zu verstehen)! Also, viele Leute waren da, aber von Jesus keine Spur. Einige Männer - offenbar seine Jünger - zogen die Aufmerksamkeit auf sich und bald drängte man meine Wohnung, pardon, den Knaben, mit seinem Vater zu ihnen. Sie sollten den Job meiner Austreibung übernehmen, wie es schien. Würde es klappen? Die meisten waren neugierig, viele skeptisch, einige so erwartungsvoll wie die Jünger und drei von uns allen hofften es. Drei, klar: Vater, Sohn und ich, der Geist! Ich bekundigte mich nochmals heftig mit meiner stummen aber wirkungsvollen Manier *10). An den Gesten und Bewegungen sah ich, dass die Jünger von Jesus sich alsbald lautstark Mühe gaben, ihre Aufgabe zu erfüllen. Ich hörte sie nicht, sah aber durch die Augen meines Wirtes, was sie wollten...."Ja, ja" schrie ich stumm in mich hinein..."ja, ich will ja raus!"

PAIDIOS erzählte weiter: "Etwas hielt mich im Körper des Knaben gefangen... das Herauskommen klappte nicht! Ich spüre heute noch meinen Frust darüber!! Dann, plötzlich, drehten sich die Leute alle in eine Richtung. Der Knabe (und ich) auch. Jesus kam. Mir wurde schon etwas mulmig zumute - nun läuft der countdown, dachte ich. Ich war sicher, das ist der Nazarener. Er schien irgendwie seltsam zu leuchten *11).

Der Vater sprach ihn an und erzählte vermutlich von meinen Aktivitäten mit dem Kind. Jesus redete längere Zeit mit ihm alleine. Dann, plötzlich, schaut er in die Runde, und ruft etwas Lautes. Später (als alles vorbei war und ich wieder hören konnte) hörte ich die Leute sagen:

"Hatte er nicht uns alle gemeint als er "oh ungläubige Generation" rief?" Hier machte PAIDIOS eine Pause und schien seine Erinnerungen für mich aufzufrischen.

Die Verzögerung

Dann sprach PAIDIOS weiter: "Später, als ich nun als "freier Geist" umherstreifte, hörte ich so mancherlei über Geister-Austreibungen. Die Menschen nannten es auch Exorzismus oder Befreiungen. (Der Begriff "Befreiung" gefiel mir am besser. Ich sah es ebenso - allerdings aus meiner Sicht). Aber bei den meisten sogenannten Austreibungen wurde gar keiner ausgetrieben! "Wieso meinst du das", fragte ich. "Der Grund dazu" antwortete PAIDIOS "war die Schwäche meiner Kollegen, die nicht stark genug waren, um sich in ihren Wohnungen zu behaupten. Oder die Exorzisten waren zu schwach und zu wenig bevollmächtigt, um das Anrecht der Geisterwelt an den Menschen zu erkennen. Und ohne Wissen um Ursachen und Entwicklungen tappen sowieso im Dunkeln und in Ohnmacht. Das weiss ich alles heute, Parakypt".

PAIDIOS machte wieder eine Pause, bevor er fortfuhr: "Damals, als Jesus anfing mit dem Vater zu reden und nachzufragen und in aller Ruhe eine Anamnese zu erstellen, wurde ich immer unruhiger in meiner Wohnung. Was erzählte der Vater da alles? Unter anderem den Unsinn, dass ich seinen Sohn umbringen wollte? Vermutlich. Denn wer verstand schon, dass ich ihn nur loswerden *12) wollte? Jesus redete und redete, aber um mich schien er sich gar nicht zu kümmern". PAIDIOS wirkte betrübt in seiner Erinnerung...

Ja, warum wohl? Ich als Archivar ahnte es damals schon...es ging Jesus um ZWEI Kindheiten während der Befragung des Vaters: Um die vom Knaben und um die von PAIDIOS. Es interessierte Jesus so sehr, dass er (nehme ich an) wohl parallel mit zwei Vätern redete - mit dem vor ihm stehenden Vater und seinem eigenen Vater im Himmel. *13)

Erbarmen

"Mit steigender Spannung verfolgte ich das Gespräch zwischen dem Vater und Jesus und machte eifrig Notizen für das Archiv dazu. "Oh je, einmal dachte ich sogar, jetzt vergreift sich der Vater im Ton und wird angriffig: "Kannst du was", sagte er zu dem, der Tote auferwecken kann! Also sowas! Aber zum Glück bat er auch um Erbarmen dabei - und ich als Geist weiss aus hundertfältiger Erfahrung: eine Bitte um Erbarmen schlägt Jesus nicht aus. Bei dem "kannst du was" allerdings liess seine Antwort nicht lange auf sich warten: "Nicht das Können zählt, sondern der Glauben" meinte er nachdrücklich. Nun war der Vater so tief berührt, dass er laut den Satz ausrief, der mir wohl immer fest in Erinnerung bleiben wird: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben"!

High Noon

Dieser Antworts-Schrei löste allerlei aus. Nicht nur bei mir, dem Archivar. Ich wollte gerade weitere Notizen machen, als auf einmal noch mehr Volk zusammen lief. Ich wandte meine Aufmerksamkeit völlig auf Jesus. Ob er wohl nun unter Zeitdruck kommt? dachte ich. Jetzt müsste endlich was passieren, die Befreiung des Knaben ist überfällig - Aber sei nur ruhig, Parakypt", sagte ich zu mir, "Jesus lässt sich nicht aus der Ruhe bringen". So war es dann auch. Er sprach dann etwas sehr Ernsthaftes, sehr Persönliches mit dem Geist *14), was ich zwar hörte, aber sinngemäss nicht verstand. *15)

Dann aber ging's plötzlich zur Sache! Jesus gebot stark: "Fahre aus"! Nun musste ("durfte"!?) PAIDIOS raus. Jesus sagte noch zu PAIDIOS, dass er nicht mehr in diesen Knaben zurück dürfe. Das war wichtig, ich weiss, denn viele Geister wollen nämlich nach einiger Zeit der Freiheit wieder zurück zur bekannten Wohnung. *16) PAIDIOS manifestierte noch einmal kräftig - diesmal mit Geschrei, mit dem endlich hörbaren Geschrei des Knaben. Ob PAIDIOS selbst - geistlich gesehen - nun auch schrie, konnte ich nicht vom Geschrei des Menschen unterscheiden. Ich sah aber, dass er ihn noch einmal fest "riss" *17) bevor er ihn verliess. Welch' ein Geschehen, welch' ein dramatischer Abschied zweier Wesen, die jahrelang so eng verbunden waren! Da starb eine Symbiose.

Wie tot oder tot?

Also, die Geschichte ist noch nicht zu Ende mit den beiden. Die Leute meinten, der Knabe sei tot umgefallen bei der Austreibung. Aber der Chronist Markus schrieb, er wäre nur "wie tot".

Meiner archivarischen Ansicht nach war der Knabe aber wirklich tot. Der Grund meiner Meinung ist die Wortwahl des (fast) Kollegen Markus. Denn Jesus handelte mit dem Knaben so, wie er schon bei anderen Totenauferweckungen tat: Er "richtete" ihn auf und er "stand auf" *18). Ich denke, Jesus wollte ihm ein ganz neues Leben ermöglichen - auch im Hinblick auf die verlorenen Kindheitstage, die er mit dem Geistkind teilen und erleiden musste. Und ein anderer Gedanke liess mich auch nicht los: der an PAIDIOS. Wenn der Knabe starb, starb das Geistkind denn ebenso dabei? Bekam es auch ein neues Geisterleben? Natürlich fragte ich später bei PAIDIOS nach. Dieser sagte, er hatte sich "wie neugeboren" gefühlt, als er endlich "draussen" war, unabhängig von der gewohnten Bindung. Aber das Sterben (oder fast Sterben?) hätte er erst einmal wie eine Heimkehr empfunden. "Wie, Heimkehr, wie meinst du das?" hakte ich nach. PAIDIOS überlegte und sagte:

"Es war mir, als ob ich noch einmal neu mit all meinen Fähigkeiten anfangen könnte. Neues Geistpotenzial gab es zu entdecken und war bei mir noch lange nicht "ausgeschöpft".

"Ein interessanter Gedanke", antwortete ich ihm dann, "das kann ja noch spannend werden für dich."

Ausstieg und Aufstieg

"Viele Geschehnisse oder eigentlich fast alle haben im Leben ein Nachspiel. Achte darauf, denn ohne genaues Hingucken erkennt man es bald nicht mehr". Mein Vorgänger im Archiv hinterliess mir diese Binsenweisheit. Hatte ich die nötig? Ist nicht meine Namensbedeutung PARAKYPT "Programm", wie ich schon andeutete? Aber mit der Geschichte von PAIDIOS war es tatsächlich so. Und zum Glück achtete ich darauf...

PAIDIOS, der kleine Geist, war nun "frei". Nun ja, eigentlich ja doch nicht frei, denn er musste (und wollte ja auch) neue Aufgaben übernehmen. Grosse Aufgaben. Er war ja nicht mehr an einen Knaben gebunden. Und, wichtiger noch, er war nicht mehr taubstumm. (Ich nehme an, dass die machtvollen Worte von Jesus seine geistigen Mauern durchdrangen und alle Behinderung in ihm beseitigten). PAIDIOS änderte seinen Namen in NEANISKOS, *19) tauchte in einem größeren militärischen Geister-Camp unter und liess sich in verschiedenen Kampftechniken ausbilden. *20) Bis dorthin konnte ich seiner Spur noch folgen. Dann verlor ich ihn aus den Augen (er war mir ja nicht "offiziell" zugeteilt worden und andere Verpflichtungen nahmen zu viel Raum ein). Jedoch ganz "verlieren" konnte ich ihn nicht...das hatte seinen Grund und so kam es auch. Da ich Ihr Interesse spüre, lieber Leser, will ich gerne noch ein wenig mehr plaudern mit Ihnen.

Es lag nämlich ein Geheimnis auf PAIDIOS - NEANISKOS.

Das sah man ja schon an seiner früheren Bestimmung, die man - Sie erinnern sich sicher - mit einer Art "Versiegelung" vergleichen konnte. (siehe *17) Also, ich heftete mich damals direkt nach der Austreibung an die Fersen der Jünger. Sie verschwanden mit Jesus in einem Haus. Dort klärte er sie darüber auf, warum sie keine Vollmacht hatten, obwohl er sie ihnen vorher verliehen hatte (*21).

In Kürze: sie vertrauten auf das ihnen Verliehene und dachten, Vollmacht könnte wie "mechanisch" eingesetzt werden und wirken.

"Weit gefehlt", hörte ich Jesus sagen. "Diese Art von Geist ist eine besondere Art. *22) Es ist mehr eine "Werdelinie" als eine "Art". Und Werdelinie hat mit Werden zu tun, mit Entwicklung, Veränderung. Wie, was und wozu, das weiss nur der Schöpfer. Und dieser bleibt im Geschehen stets dabei und gibt die jeweils nötige Weisung. Um das zu verstehen, braucht es Gebet".

Ich spitzte meine Lauscherohren. "Aha, er meint das PROSEUCHÄ Gebet", dachte ich für mich, "hatte ihnen das Jesus nicht vorgelebt"? *23)

Ich erinnerte mich gut an die Gebetserklärungen meiner eigenen geistigen Ausbildung. PROSEUCHÄ, natürlich! Und an die Bedeutung des Wortes GENOS, die Werdelinie, erinnerte ich mich auch. Das kam bei Geistern nur äußerst selten vor. Aber eben: Ein Gedanke ergab den anderen. In dem Begriff GENOS war das Geheimnis, das Besondere bei PAIDIOS zu finden. Er war bei Gott, dem "Werdenmachenden" (*24) als "werdender, wachsender" Geist stets vor Augen. Gott machte ihn sichtbar im Sinne von rückverfolgbar unter anderen Geistern, er "markierte" ihn. Das wurde archivarisch seinerzeit vermerkt. Mit dieser Markierung konnte ich ihn wieder finden, sie gab eine Unterscheidung in der Geisterwelt.

So war es also bei PAIDIOS. Als ich seinen Code im Archiv erbat, erhielt ich ihn und fand dann -auch nach längerer Zeit - immer wieder seine Spur. Der kleine PAIDIOS wurde zum größeren NEANISKOS und stieg immer höher die Werdeskala hoch - bis er zu einem vollmächtigen ANGELOS wurde. *25) Mein Weg mit ihm (als kleiner Archivar) war von da an zu hoch für mich. Der Code wurde gesperrt. Es bleibt mir nur noch die Erinnerung.

Und die habe ich doch gut mit Ihnen geteilt, oder?

JoomShaper