Versuchung - Anfechtung.
Versuchung, auf griechisch PEIRASMOS. Es kommt als Hauptwort 21 mal im NT vor, als Verb fast doppelt so oft. Luther übersetzte es manchmal mit 'Anfechtung' - zum Beispiel in Jakobus 1,12 - manchmal mit 'Versuchung' wie zum Beispiel im 'Vaterunser'. Eine Erklärung dafür ist vordergründig nicht zu erkennen. Allerdings könnte es eine Art 'Schonung' des Lesers sein, da sich 'Anfechtung' auf deutsch 'verträglicher' als 'Versuchung' darstellt. Wenn wir 'angefochten' werden, dann 'fechten' wir zurück, es ist wie ein erwarteter, offener Kampf. Wenn wir andererseits 'versucht' werden, scheint dies eher schleichend, ja fast hinterhältig daher zu kommen. Nun, wie es auch sei, Anfechtung oder Versuchung, das griechische Wort dazu ist immer das gleiche: PEIRASMOS.
Was heisst 'Versuchung' eigentlich?
Auf deutsch liegt die Wortähnlichkeit 'Versuchung - Versuch' nahe. So ist es auch im griechischen Grundtext des NT. PEIRASMOS kommt von PEIRA. Das heisst 'Versuch, Probe, Prüfung'. Wir finden es im Hebräerbrief 11,29. Dort steht, dass die Ägypter auch den Versuch wagten, das rote Meer wie die Israeliten zu durchqueren. Dieser 'Versuch' misslang, wie allgemein bekannt ist. Im Hebräer 11,36 weist das dort verwendete griechische Wort PEIRA auf eine 'Probe' hin, nämlich trotz 'durch Leiden erprobt' dennoch das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Eine weitere Wortverwandtschaft von PEIRASMOS/Versuchung sehen wir im Wort PERAS, die Grenze. Römer 10,18 erwähnt es: '...bis an die Grenzen der bewohnten Welt...'.
Versuchungen führen Menschen an ihre Grenzen!
Noch eine andere Verwandtschaft zum Wort PEIRASMOS finden wir mit PERA, was 'darüber hinaus' heisst. Ist es nicht auffällig, dass unser Wort 'Versuchung' ja auch mit etwas zu tun hat, das uns über einen von uns als 'anständig, normal' empfundenen Zustand hinaus bringen will?
Versuchung kommt also als eine Erprobung im Grenzbereich unserer Wertvorstellungen. Jedoch bitten wir im Vaterunser, nicht erprobt ('versucht') zu werden. Ist dies eventuell 'unerhört', so zu beten? Oder soll dieses Gebet immer oder möglich oft erhört werden? Die moralische, biblisch-glaubensmässige Komponente der Versuchung ergibt sich erst durch eine zusätzliche Frage:
Wer versucht wen und - warum?
Matthäus erzählt im 4.Kapitel,1 - 4, dass der Geist Jesus in die Einöde führte, um vom Teufel, dem Versucher, versucht zu werden. Lukas ergänzt den Bericht ( Kapitel 4, 1 - 2 und 13 ) mit dem Hinweis, dass Jesus nicht nur nach 40 Tagen, sondern 40 Tage lang versucht wurde bis der Teufel ihn in Ruhe liess - eine Zeitlang.
Wir erkennen also folgende Tatsachen:
1. Versuchung geschieht hier nicht 'einfach so', sondern Jesus wird hineingeführt.
2. Der handelnde Führer ist der Geist.
3. Die Versuchung dauert bis zu einer 'Vollendung, einem Ende, Ziel'.
4. Der Versucher ist der Teufel, der Diabolos.
Der Teufel wird eindeutig 'der Versucher' genannt. Und dennoch kann die Versuchung nicht allein dem Teufel 'angelastet' werden, da sie in göttlicher Führung geschieht. Versucht nun Gottes Geist oder der Teufel? Sie tun es beide. Aber sie haben nicht das gleiche Motiv. Das ist der wesentliche Unterschied.
Jesus ging durch eine Versuchung hindurch, die notwendig war.
Warum? Um als zweiter oder letzter Adam (siehe 1.Korinther 15,45) eine Probe zu bestehen, die der erste Adam nicht schaffte.
(Man vergleiche 1.Mose 3,6 mit Lukas 4,1 - 13 und mit 1.Johannesbrief 2,16. Es geht um Versuchungen des Körpers, der Seele und des Geistes, in dieser Reihenfolge). Bei Jesus begegnet uns eine Versuchung, die vom Geist her ein gutes Ziel hatte, aber gleichzeitig, von Satan her, ein schlechtes Ziel.
Der Geist will erlösen, zum Guten des Menschen, der Satan will versklaven, zu seinem eigenen 'Guten'.
Die vier Versucher.
Es gibt neben Gottes Geist oder Gott oder Jesus (1) noch andere Versucher. Es sind Satan (2), die Lust oder Begierde (3) und wir selbst (4).
1. Gottes Geist oder Gott nannten wir schon obenstehend. Er steht an erster Stelle, weil er immer der Erste ist.
Noch nicht explizit erwähnt wurde Jesus als 'Versucher'. Wir lesen zum Beispiel von ihm, dass er Philippus im Johannes-Evangelium 6,6 mit seiner Frage nach Brot versucht.
2. Satan, auch ihn nannten wir schon obenstehend. Er allein wird im NT mit dem Hauptwort (mit Nomen) 'der Versucher' bezeichnet. Die anderen drei angeführten Nennungen 'versuchen' in Tätigkeitsform (mit Verbum).
3. Die Lust oder Begierde.
Im Jakobus 1, 13 - 15 gibt es einen aufschlussreichen Text dazu.
'Niemand, der versucht wird, sage, dass er von Gott versucht werde; denn Gott ist vom Üblen unversucht, und er selbst versucht niemand. Ein jeder aber wird versucht, wenn er von der eigenen Begierde hinweggezogen und gelockt (geködert) wird. Danach empfängt die Begierde (wird schwanger) und gebiert die Sünde; die Sünde aber, wenn sie völlig vollendet ist, stösst sie den Tod aus (oder: '...erzeugt sie den Tod').'
Gott versucht, aber nie zum Üblen, sagt der Text. Warum? Weil er das von seinem Wesen her gar nicht kann! Aber er führt in Prüfungen hinein. Ein weiteres bekanntes Beispiel dafür ist Abrahams Geschichte mit der Opferung seines Sohnes Isaak, siehe 1. Mose 22,1 / Hebräer 11,17.
Unsere Begierden ziehen uns in unseren Grenzbereich (wo auch unsere Schwächen liegen) und ködern uns mit Lustgewinn.
Schlucken wir den Köder, ist es wie ein Samenempfang zum Schwangerwerden. Der Same, die Sünde, wächst in uns weiter, bis sie 'ausgereift' ist. Dann wird sie als Tod aus uns ausgestossen (erzeugt).
So erklärt es der Apostel Jakobus. Zum Glück können wir durch Busse (Umsinnung, Mitdenken, METANOIA auf griechisch) eine - einmal erfreuliche - Schwangerschaftsunterbrechung herbeiführen.
4. Wir selbst.
Im 2.Brief an die Korinther, Kapitel 13,5 empfiehlt Paulus die Selbst-Versuchung. Wir sollen von uns wissen, wie wir im Glauben stehen.
Er gibt allerdings keine klare Anweisung dazu.
Ab Vers 7 lässt er durchblicken, dass es ihm um das Tun des Üblen (KAKON) oder des Idealen (KALON) geht. Er rundet es in Vers 8 mit einer Aussage über die Wahrheit ab. 'Was ist Wahrheit?' fragte schon Pilatus (Johannes 18,38). Jesus sagt es uns im Johannes 14,6: ICH bin die Wahrheit...Wenn wir uns also versuchen, ob und wie wir im Glauben stehen, dann sollen wir erkennen, ob und wie Jesus Christus in uns ist.
Vier 'Versucher'...erinnern wir uns daran: bei allen vier Genannten müssen wir auf das Motiv achten!
Die Wichtigkeit der Versuchung.
Wieso können wir Versuchung 'wichtig' oder sogar 'nützlich' nennen, wenn wir doch im Vaterunser beten'...und führe uns nicht in Versuchung'? Nun, wir lasen soeben vom '4.Versucher', der wir selbst sein sollen! Allein schon um die Tiefe und Echtheit unseres Glaubens zu prüfen, sollen wir uns 'versuchen'. Ausserdem lässt es Gott offenbar zu - oder führt es - dass wir versucht werden. Jakobus schreibt im Kapitel 1,12, 'Glückselig ist der Mann, der unter der Versuchung bleibt (Luther nennt es:'...der die Anfechtung erduldet'), denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen.' Das Darunterbleiben (Geduld) Hiobs lobt Jakobus im Kapitel 5,11 und erwähnt, was der Herr daraus gemacht hat...'denn der Herr ist in seinem Inneren sehr mitfühlend und ein Erbarmer.'
Sich selbst zu versuchen, heisst auch 'etwas zu versuchen'. Wie wichtig ist es doch, immer wieder etwas 'auszuprobieren', um in Gottes Führung desto sicherer zu werden. Kurz bevor Paulus durch einen Traum nach Griechenland gerufen wurde, versuchten er und seine Begleiter durch Bithynien zu reisen, um dort das Wort Gottes zu verkündigen. Sie versuchten es oder 'sie wurden dazu versucht'. Aber der Geist von Jesus liess es nicht zu. Seltsamerweise half ihnen genau das später, den Ruf im Traum richtig einzuordnen und nach Mazedonien in Griechenland zu reisen.
Wahrscheinlich waren sie ursprünglich nicht erfreut über die Situation, dass ihnen der Geist Gottes verwehrte, in der Landschaft Galatien das Wort Gottes zu verkündigen (siehe Apostelgeschichte 16,6 - 10).
Lagen nicht die Galater dem Paulus besonders am Herzen, wie es sein Rundbrief an sie zeigt? Jakobus geht auf eine solche oder ähnliche Enttäuschung ein. Sein Brief beginnt mit: '...meine geliebten Geschwister, achtet es für lauter (eigentlich: bunte, farbige!) Freude, wenn ihr in allerlei Versuchungen fallt!'
Diese Beispiele können heute noch vielen von uns Lesern helfen, die Wichtigkeit, den Nutzen und die Normalität, ja sogar die 'Freude' einer Versuchung zu verstehen.
'...und führe uns nicht in Versuchung.'
Dieser Teil im Vaterunser hat die Forscher und Übersetzer seit jeher verunsichert. Man empfand den Text als 'anstössig', nicht dem Wesen Gottes gemäss und versuchte durch allerlei sprachliche Umdeutungen dem Text 'nachzuhelfen'.
Wie zum Beispiel mit der Übersetzung: '...und führe uns nicht ZUR Versuchung'. (New English Bible, Oxford and Cambridge University Press) Oder mit '...du WÜRDEST uns NICHT in Versuchung führen'. (The Holy Bible by Ferrar Fenton, Oxford University Press).
Die allermeisten Übersetzungen bleiben an der bekannten Version:
'...und führe (oder 'bringe') uns nicht in Versuchung'. Bei den Auslegungen und Kommentaren jedoch lassen sich dann viele in die Versuchung führen, den Text so zu erklären, wie er obenstehend in den Umdeutungen tönt.
Nach langen Erwägungen fand ich - um der bekannten Grundtext-Version treu zu bleiben - folgende mögliche Auslegungen:
1) Der Satan bewegt Gott, uns an einer Schwachstelle versuchen zu dürfen, wie man Weizen durch ein Sieb lässt, um ihn von Fremdstoffen zu trennen. Die Geschichte mit Petrus zeigt, wo Satan bei ihm ansetzte - bei seinem Glauben. Jesus sagt zu Petrus:
'Simon, Simon, siehe, der Satan hat euer begehrt, dass er euch sichten möchte wie den Weizen; ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht abnehme' (Lukas 22,31-32). Satan hatte treffsicher die Schwachstelle bei Petrus erkannt und durfte die dreifache Verleugnung 'anheizen' (Lukas 22,60). Jesus reagierte direkt nach der Anfrage des Versuchers bei Gott (er wusste also sofort davon) und betet für Petrus anstatt die Versuchung abzulehnen. Die Versuchung gelang. Die Reue erfolgte aber auch, die weitere Lebensgeschichte des glaubens-erstarkten Petrus ebenso...
Im Hebräerbrief 2,17-18 lesen wir etwas sehr Tröstliches: 'Daher musste er (Jesus) in allen Dingen seinen Brüdern ähnlich werden, dass er barmherzig würde und ein treuer Hohepriester (als Fürsprecher und Advokat) vor Gott, um (freudig) die Sünden des Volkes zu versöhnen. Denn worin er gelitten hat und versucht ist, kann er denen helfen, die versucht werden'. Und: ' Gott ist treu, der euch nicht über euer Vermögen versuchen lässt, sondern macht mit der Versuchung auch einen Ausgang (Ende), dass ihr es ertragen könnt (1.Korinther 10,13).
Diese Art von Versuchung fällt unter die vier oben genannten 'Versucher' Nummer 2 und 3 - Satan und die Lust / Begierde...Das Böse versucht uns immer wieder, Gott lässt es massvoll zu und - hilft uns heraus. Aber es ist uns naturgemäss sehr unangenehm!
Darum beten wir: '...und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen'.
An dieser Stelle muss ich das Wort 'erlösen' aus dem Textzusammenhang genauer erläutern. Der Grundtext spricht von RYOMAI, welches besser nicht mit 'erlösen', sondern eher mit 'aus der Gefahr ziehen, bergen' zu übersetzen wäre. Denn 'Erlöste' im weitesten Sinne sind wir schon, 'Geborgene' noch nicht. Das sind wir erst, wenn sich Jesus, das Haupt seines Körpers, mit seinen Gliedern, den Gläubigen, physisch durch die Entrückung oder Auferstehung vereinigt.
2) Über Gottes Motive, um zu versuchen oder versuchen zu lassen, haben wir auch verschiedene Berichte.
Neben der sehr bekannten Abrahams Geschichte mit der Opferung Isaaks (1.Mose 22) wollen wir noch die Hiobs - Geschichte erwähnen.
In beiden Erzählungen ist Gott der Handelnde.
Bei den Kapiteln 1 und 2 des Buches Hiob staunen viele Leser stets neu darüber, wie Hiobs Leiden von Gott 'eingefädelt' und von Satan ausgeführt wird, dann wie Hiob 36 Kapitel lang Leiden mit dem Unverstand seiner Freunde durchsteht, anschliessend 4 Kapitel Gottes Reden über seine Schöpfung erfährt um (endlich!) im letzten Kapitel überreich belohnt zu werden für sein 'Darunterbleiben' - 'Geduld' wie es Jakobus im Kapitel 5,11 nennt. Ohne die für uns im Hintergrund der Geschichte erkennbare Motivfrage würden wir sie mit noch mehr Schwierigkeiten lesen müssen! Doch ist es klar: Gott will dem berechnenden Satan die Integrität Hiobs aufzeigen (siehe Hiob 1,8 und 2,3), von dem er weiss, dass er die Probe (Versuchung) besteht. Nicht nur Hiob und seine Freunde lernten viel dabei - schlussendlich war es eine Lektion für Satan. Denn dieser steht als der grosse Verlierer da!
Diese Art von Versuchung fällt unter die oben genannten 'Versucher' Nummer 1 und 2, Gott und Satan.
'Und führe uns nicht in Versuchung....' Gott versucht dennoch - und macht Abraham zum Glaubensheld und Vater des Glaubens dabei.
'Und führe uns nicht in Versuchung, sondern birg (erlöse) uns von dem Bösen', Gott lässt Hiob versuchen und erteilt dem Bösen als Herausforderndem und Ausführendem eine Lektion über menschliches Festhalten an Gott.
Darf / kann Gott heute an uns ebenso oder ähnlich handeln?
Wenn ja, würde damit nicht auch unser 'Menschsein mit Gott' gestärkt? Betrifft dies etwa das Wort: 'Es hat uns noch keine denn menschliche Versuchung erfasst' aus 1.Korinther 10,13? Ich denke, Gott 'darf' es. Er tut es an einigen seiner Kinder. Denn 1.Korinther 10,13 ist auch der Vers, der mit dem Trost endet '...aber Gott ist treu, der euch nicht über euer Vermögen versuchen lässt, sondern macht mit der Versuchung auch einen Ausgang (Ende), dass ihr es ertragen könnt'.
3) Wir sollen uns selbst versuchen, so wie es Paulus den Korinthern rät.
Wenn wir dies dann tun und in uns gehen, um unseren Glaubensstand und die intime Beziehung zu Jesus zu überprüfen, dann entdecken wir Dinge von denen wir wissen, dass sie niemandem gefallen - weder Gott noch den Mitmenschen noch uns selbst. Je tiefer wir in uns gehen je schwerer wiegen die erkannten Schwächen, Egoismen, Abhängigkeiten und falsche Verhaltensmuster, die eventuell noch als 'praktizierte Sünden' unsere Seelen beschweren. Kurz: der Unglaube in vielen Varianten. Um Hilfe und Frieden zu finden, bitten wir Gott um Vergebung und Führung und danken ihm durch Jesus Christus für seine Bergung (Erlösung).
Diese empfangen wir im Glauben und gehen gestärkt auf dem vor uns liegenden Weg weiter. Gut so.
Falls wir in den Untiefen unserer Seele etwas länger verharren und mit unserem Erlöser, der auch in diesen Untiefen mit uns wandelt (schliesslich lebt er in uns) tieferen Austausch pflegen, könnten wir noch Unangenehmeres über uns selbst erfahren. Zum Beispiel, dass wir gewisse Schwächen, Egoismen, Abhängigkeiten und falsche Verhaltensmuster gar nicht ändern wollen oder noch nicht ändern wollen oder nur ein wenig ändern wollen. Oder wir merken, dass wir gewisse Dinge und Muster nicht ändern können. Es fehlt die Kraft dazu. Bei anderem merken wir, dass ein 'dumpfes' Gefühl da ist, eine dunkle Ahnung über dunkle Prägungen, die uns in unseren Verhaltensmustern zu schaffen machen. Bei solchem inneren Gespräch fand ich öfter heraus, dass ich Gott bat, mich nicht in eine solche Versuchung zu führen, die ich nicht - oder noch nicht - bestehen würde...oder meine, sie nicht zu bestehen. Dann überkamen mich Ängste, dass mich Gott 'voll versuchen' könnte und gar den Bösen (der mich zum Glück nicht so gut kennt wie Jesus) 'voll' als Versucher einspannen könnte!
Dies waren kindliche Gedanken, noch nicht ausgereift im Glauben. Aber sie brachten mich (und vielleicht viele andere Gläubige) dazu, dass ich aus tiefer Seele betete: '...und führe uns (mich!) nicht in Versuchung'.
Nun weiss ich, dass ich dem Rat von Paulus folgen soll und mich selbst versuchen darf. Wie schwer es auch fällt, ich will wissen, wo ich stehe. Ich will mich auch diesen Untiefen meines verborgenen Unglaubens stellen. Ich bin ja nun gewiss, dass Gott mit mir da durch will und mir mit seiner zart führenden Liebe dabei helfen wird.
Die finale Versuchung.
Im Sendschreiben an Philadelphia (Offenbarung 3,10) steht: 'Weil du bewahrt hast das Wort meines Darunterbleibens (Geduld), will auch ich dich bewahren vor der (aus der) Stunde der Versuchung, die über die ganze bewohnte Erde (OIKOUMENE) kommen wird, zu versuchen, die da wohnen auf Erden.' Eschatologisch - also auf die Vollendung dieses Zeitalters - ausgelegt, ist dies eine grosse Verheissung. Es wird die Zeit der vollen antichristlichen Herrschaft sein. Eine gigantische Versuchung von Seele, Körper und Geist in allen Lebensgebieten, eine Zeit wie sie noch nie war und danach nie mehr kommen wird, gemäss neutestamentlicher Aussagen.
Wohl dem Menschen, der dann innerhalb der finalen Versuchung seine persönliche Versuchung erkennt und Gott um Hilfe bittet.
Wohl dem Menschen, der dann die Gebetserhörung von '..und führe uns nicht in Versuchung' erleben darf.
Die Bitte um Versuchung.
Auch das gibt es! In der Bibel gibt es für jede Aussage eine Gegenaussage. Sie ist nicht immer das pure Gegenteil, sondern eher eine Art 'gegensätzlicher Ergänzung'. Ich lernte dies als biblisch orientierter Theologe unter anderem in den Sprüchen Salomos, die besser mit 'Vergleichende Salomos' übersetzt würden. Als Beispiel lese man Sprüche 24, 4 - 5. Sind diese Aussagen widersprüchlich oder nicht? Achten wir beim Lesen anderer Sprüche auf die vielen '...aber...' im gleichen oder folgenden Vers, dann verstehen wir den Anfang des Verses besser. Im NT kann man im Johannes-Evangelium Kapitel 14,6 B mit Kapitel 8,44 vergleichen..Gegensatz oder gegensätzliche Ergänzung?
So ist es auch mit der Bitte '...und führe uns nicht in Versuchung'.
Im Psalm 139,23 - 24 wünscht David: 'Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich ('versuche' mich?) und erkenne meine Gedanken. Siehe, ob ich auf dem Weg der Betrübnis bin und leite mich auf dem äonischen (meist mit 'ewig' übersetzt) Weg. Oder im Psalm 26,2 sagt David: '...Prüfe mich ('erprobe mich', 'versuche' mich?'), erforsche mir Nieren und Herz..'Hier übersetzt ein besonderer Kenner des Hebräischen: '...und schmelze meine Nieren und Herz aus!' Nieren und Herz gelten in der biblischen Symbolsprache als das Innerste der unteren und der oberen Organe, in denen die gefühlsmässigen (Niere) und willentlichen (Herz) Entscheidungen stattfinden. Ausschmelzen! David wollte lieber wie Gold in diesem reinigenden, wiederherstellenden Versuchungsfeuer erkennen, wo er jetzt steht als im späteren göttlichen Gerichtsfeuer schmerzhaft zu erkennen wo er einst stand. Petrus schreibt ähnliche Gedanken in seinem ersten Brief, Kapitel 1,6 -7.
Wie sehr gleichen doch diese Bitten von David dem Rat von Paulus, uns selbst zu versuchen!
Wenn wir in diesem Sinne um Versuchung, um Prüfung bitten, dann sollte uns aber auch eine 'unerhörte' Gebetserhörung nicht verwundern!